© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/97  21. August 1997

 
 
Individualismus: Der Gemeinschaft sind Opfer zu bringen
Pflichtdienst für alle!

von Hans-Peter Rissmann

Wer kennt nicht noch von der Schule die Sprüche: "Biste bescheuert? Gehst zum Bund? Ich hab’n Attest. He, he!" Oder: "Ich bin doch nicht blöd und mach mich für andere krumm. Ich drück mich!" Und das ist so einfach.

Die Flutkatastrophe an der Oder hat die Debatte um Pflichtdienste in der Gemeinschaft neu aufleben lassen. Die FDP, stets knapp an den zentralen politischen Fragen vorbei, will just in diesen Tagen die Abschaffung der Wehrpflicht zu ihrem Wahlkampfschlager küren. Nie stand den Bürgern der Sinn von Pflichtdiensten deutlicher vor Augen, als in den Stunden, als Tausende Hände von Soldaten, Feuerwehrleuten und vielen Freiwilligen dafür sorgten, daß nicht ein ganzer Landstrich im Oderwasser ertrank.

Doch Egoismus und Betrug an der Gemeinschaft stehen hoch im Kurs. Nie wurde Gemeinschaftsgeist mehr bestraft als in unseren Tagen. In der Frage des Standortes Deutschland haben die Gesetze des Marktes längst über denjenigen der Gemeinschaft gesiegt. Deutschland zementiert auf der einen Seite nicht mehr zu finanzierende soziale Standards, auf der anderen Seite werden mit der Steuerpolitik, dem Euro-Experiment Großunternehmen und Banken gestützt, die global denken aber national die Koffer packen

Die Wehrpflicht für Männer stellt für diejenigen, die tatsächlich auch über Wehr- bzw. – bei Verweigerung – vom Ersatzdienst betroffen sind, eine elementare Erfahrung dar. Für mindestens ein Jahr – früher war es mehr – ist man mehr oder weniger dem gewohnten sozialen Umfeld entzogen. Man verfolgt in dieser Zeit nicht eigene Interessen, sondern erfüllt Pflichten gegenüber der Gemeinschaft. Bei der Wehrpflicht schwört der Mann sogar einen Eid, mit seinem Leben dem Land zur Verfügung zu stehen – er gäbe sein Teuerstes für die Gemeinschaft. Völlig anachronistisch, lächeln viele Wohlstandsbürger, die nicht erlebt haben, wie eine Gemeinschaft auf die Probe gestellt wird.

Gerade weil es den oberen zwei Dritteln unserer Gesellschaft noch und eigentlich zu gut geht, ist die Einführung eines generellen Pflichtdienstes für Männer und Frauen sinnvoll. Nicht in erster Linie, weil damit der Arbeitsmarkt entlastet würde oder Menschen als billige Arbeitskraft zur Verfügung stünden. Sondern weil die Erfahrung des Dienstes an anderen, wenn er nicht schon in der Familie gelernt wurde, für jeden – ob er später Börsenmakler, Manager, Hausfrau oder Angestellter wird – eine Schlüsselerfahrung darstellen kann.

Egoismus und asoziale Illoyalität dem Ganzen gegenüber müssen gesellschaftlich bestraft werden. Derjenige, der stets nur an sich selbst und nie an den anderen denkt, soll nicht auch noch dafür belohnt werden.

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