© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/97  15. August 1997

 
 
Hauptsache, antifaschistisch
Kommentar
von Werner Olles

Von Ulrike Meinhof stammt der Satz, daß die Bundesrepublik nach Stammheim nicht mehr die gleiche sein werde. Daß die Top-Terroristin sich auch hierin geirrt hat, war jüngst einem Interview zu entnehmen, das in "Spiegel-TV" von Günter Gaus mit Inge Viett geführt wurde. Frau Viett, ehemals führender Kader der terroristischen "Bewegung 2. Juni", hatte bis zur Wende - versteckt und gedeckt von der Stasi - in der Ex-DDR gelebt und gearbeitet. Ihre dortige Nischenexistenz flog erst auf, als das SED-Regime zum Abdanken gezwungen wurde.

Inge Vietts "Vergangenheitsbewältigung" gehorcht weder positiven noch negativen Klischees. Ihre Invektiven auf das "kapitalistische" und "imperialistische" System sind nach wie vor ungebrochen und überzogen, aber dafür frei von jeglicher Intellektualität und Sensibilität. Zunächst als Konkurrenzorganisation zur Rote-Armee-Fraktion entstanden, war die Gewaltfrage die "Bewegung 2. Juni" schon bald keine Frage mehr. In genau diesem Bewertungsrahmen aus schwerkriminellen Delikten und politiko-militärischem Widerstand, aus revolutionären Thesen und verbrecherischen Aktionen müßte eine Beurteilung der deutschen Stadtguerilla ihren Begründungszusammenhang finden.

Günter Gaus tat sich schwer mit seinen Fragen, auf einige wichtige verzichtete er gleich ganz. So etwa nach dem Grund der Ermordung des abtrünnigen 2. Juni-Genossen Ulrich Schmücker. Seine Frage nach Vietts Schüssen auf einen Pariser Polizisten - der seitdem querschnittsgelähmt ist - machte noch einmal deutlich, daß die Stadtguerilla neben ihren taktischen und strategischen Überlegungen immer auch noch ein drittes Element bereit hielt, das ihre Siege befördern sollte: den systematischen Terror. Diese Praxis fiel den Terroristen umso leichter, als sie keinerlei ethische oder religiöse Hemmungen hatten, die ihren Amoklauf hätten stoppen können.

Als Gaus den DDR-Aufenthalt Vietts und anderer Terroristen ansprach, und dabei auf die Spießigkeit und Kleinbürgerlichkeit des zweiten deutschen Staates verwies, konterte die Ex-Terroristin mit der Bemerkung, man habe sich um derlei Dinge eben nicht gekümmert, wichtig sei vor allem der Antiimperialismus und Antifaschismus dieses Staates gewesen. So war es also letztlich das Dilemma der Bundesrepublik, keiner Staatsidee anzuhängen, sondern nach ihrem liberalen Selbstverständnis den politischen Feind auschließlich als Kriminellen anzuerkennen und zu bekämpfen. Mit einer Änderung des Strafrechtes allein werde man aber den Staatsfeind wohl niemals endgültig besiegen. Nach dieser Bemerkung von Gaus mußte selbst Inge Viett lächeln.


 
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