© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/97  15. August 1997

 
 
Exorzismus
Kolumne
von Albert Piethö

Die Aufregung ist groß. Man hat doch im Lande allgemeinen Konsens gegeben gewähnt. Konsens in der Frage der Abtreibung. Widerstand ist auch wirklich nicht mehr zu erwarten gewesen. Die katholische Kirche, hat man gedacht, ist spätestens seit der Rufmordkampagne gegen Kardinal Groer in dieser wie in allen anderen gesellschaftspolitischen Angelegenheiten mundtot gemacht. Doch da sind bekanntlich nicht nur der eine oder andere anpassungsfreudige und konfliktvermeidende Bischof, sondern auch die fundamentalistische Basis. Mehrmals im Monat versammeln sich zehn bis 30 Leute, mit Rosenkränzen versehen (und aufgehetzt von einem oder zwei fanatischen Priestern) und beten unverschämt in aller Öffentlichkeit. Undelikaterweise tun sie dies vor einer der Wiener Abtreibungskliniken, jener am Fleischmarkt Nr. 26 im ersten Bezirk.

 

In Amerika würden Abtreibungsärzte umgebracht, gibt sich der Falter (29/97) höchst erschreckt. "Kinderkreuzzug", "Frauenbelästigung", "Antifrauenpolitik", "Exorzismus".Was so ein bißchen Rosenkranz doch alles bewirken kann. Am 3. und 4. August geschieht dann das Unaussprechliche. Der Wiener Generalvikar Schüller erlaubt sich, während einer Messe im Stephansdom zum Abschluß einer Sternwallfahrt von Pro-life-Aktivisten unter Verweis auf die Notwendigkeit des höchsten Respektes vor der Frau, in sehr vorsichtigen, bedächtigen Worten auf das Problem der Abtreibung einzugehen. Das heischt nach sofortiger Bestrafung.

 

Gleich unterbricht eine Sturm–Abteilung emanzipierter Frauen Messe und Predigt. In der Presse (6. 8. 1997) wird tadelnd festgestellt, daß sich Schüller auf die Seite des Fundamentalismus gestellt hat. Und wer das tut, "tut sich und seinem Anliegen nichts Gutes", spricht drohend der Leitartikel. Frau Petrovic von den Linksalternativen führt persönlich, mutig von einem Frauenbattaillon und vielen Redakteuren des ORF beschirmt, die medial engagiert beworbene Gegenkundgebung (am Fleischmarkt, direkt vor der gebetsbedrohten Klinik) an. Mit ihr solidarisch sind PolitikerInnen der SPÖ, der Kommunisten, linker Lebensorganisationen und, wie man vernehmen darf, – ei, wer hätte das gedacht – der FPÖ. Die ÖVP grenzt sich diesmal etwas aus. Bundesrat Liechtenstein ist gar vor der skandalösen Messe Generalvikars Schüller gesichtet worden. Doch Familienminister Bartenstein macht das rasch wieder gut. "Kein Bedarf an Debatte über Fristenlösung" erklärt er mutig. Republik gerettet, Fundamentalismus noch einmal besiegt.


 
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