© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/97  15. August 1997

 
 
Deutschlandlied: Vor 75 Jahren proklamierte Friedrich Ebert die Nationalhymne
"Da ward mir so eigen zumute"
von Wilfried Böhm

Seit 75 Jahren ist das Deutschlandlied die deutsche Nationalhymne. Am "Verfassungstag", der in der Weimarer Republik am 11. August begangen wurde, erfolgte 1922 in Berlin die Proklamation durch den ersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert.

Als der SPD-Politiker Ebert das Deutschlandlied zur Nationalhymne erklärte, war sein Text schon über 80 Jahre alt. Der Germanistik-Professor August Heinrich Hoffmann (1798-1874), der sich nach seinem niedersächsischen Geburtsort "von Fallersleben" nannte, hatte am 26. Augst 1841 das "Lied der Deutschen" in der Einsamkeit der seinerzeit noch britischen Nordseeinsel Helgoland gedichtet. Der von der damaligen Obrigkeit wegen seiner patriotischen und freisinnigen Lyrik verfolgte und schließlich seiner Professur enthobene Hoffmann schrieb darüber in sein Tagebuch: "Wenn ich dann so einsam wandelte auf der Klippe, nichts als Meer und Himmel um mich sah, da ward mir so eigen zumute, ich mußte dichten und wenn ich es auch nicht gewollt hätte."

Als er das Lied schrieb, war er erfüllt von dem Wunsch nach einem demokratischen, freien und geeintenDeutschland und der Überwindung der Kleinstaaterei. Imperialistische Gesinnung und deutscher Herrschaftsanspruch über andere Völker lagen ihm fern - der schwarz-rot-goldene Patriot, wie Theodor Heuss ihn später nannte - liebte vielmehr sein Vaterland "über alles" und wünschte dem fortschrittlichen Zeitgeist entsprechend dessen Einheit herbei, wie andere europäische Völker die ihre bereits verwirklicht hatten.

Beim Schreiben des Textes hatte Hoffmann als Melodie dazu die von Joseph Haydn (1732-1809) geschaffene "Kaiserhymne" im Ohr: "Gott erhalte Franz den Kaiser, unseren guten Kaiser Franz". Der bedeutende Komponist hatte Erfahrungen mit der britischen Königshymne und dem französischen Revolutionsgesang der "Marseillaise", als er die schlichte Melodie komponierte. Haydn hatte mit der Melodie eine der schönsten Hymnen der Welt geschaffen, von der er selbst sagte: "Ich spiele das Lied an jedem Morgen und oft habe ich Trost und Ergehung daraus genommen, in den Tagen der Unruhe É Mir ist herzlich wohl, wenn

ich es spiele, und noch eine Weile nachher."

Hoffmanns Text, besonders die erste Strophe "Deutschland, Deutschland über alles", wurde und wird bis in unsere Tage hinein aber auch - meist mutwilligÊ- mißverstanden und falsch interpretiert. Dem Staatsrechtler Theodor Eschenburg ist jedoch bei der Feststellung zuzustimmen: "Wenn man die Nationalhymnen der westlichen Welt miteinander vergleicht, so erscheint es mir, daß in diesem Lied Nationalbewußtsein, Staatsordnung und Gesellschaftsbewußtsein wie selten sonst in einer Hymne enthalten sind. Hoffmanns Werk ist ein Lied der Innigkeit und der Sehnsucht, nicht aber der Macht und des Chauvinismus."

Jedes dichterische Werk ist selbstverständlich nur aus der Zeit zu erklären, in der es entstand, auch Gesänge, die später zu Nationalhymnen wurden, beispielsweise die französische Marseillaise, nach der "das unreine Blut unserer Äcker Furchen tränken möge" oder die amerikanische Hymne, in der "Handgranatenblitze und grellrote Raketen durch die Nacht bezeugen, daß die Fahne noch loht". Ebensowenig wie diese Hymnen Aufrufe zu Mord und Kriegslust sind, enthält das Hoffmannsche Lied der Deutschen in seiner ersten Strophe die Aufforderung zu territorialen Eroberungen. Maas, Memel, Etsch und Belt (Ostsee) umgrenzten damals das Gebiet des Deutschen Bundes (1815-1866) bzw. die Staaten, die zum Deutschen Bund gehörten.

Nationalhymnen haben alle Staaten als eines der Symbole ihrer Souveränität, ihres Staatsbewußtseins und des Zusammengehörigkeitsgefühls ihrer Bürger. Sie entstanden entweder in Republiken als Volksgesänge im Kampf um Freiheit und Unabhängigkeit oder preisen in Monarchien als "Königslieder" den Herrscher. Sie haben oft eine lange Tradition und begleiten ein Volk durch Freude und Leid als Symbol seiner Schicksalsgemeinschaft.

Hoffmanns "Lied der Deutschen" setzte sich im vorigen Jahrhundert zunächst nur langsam durch, obwohl es schon 1848 auf dem Höhepunkt der freiheitlichen Revolution von den Teilnehmern der Frankfurter Paulskirchen-Versammlung begeistert gesungen worden war. Enttäuscht war Hoffmann, daß sein Lied nach der Reichsgründung 1871 nicht zur offiziellen Nationalhymne wurde. Aber Kaiser Wilhelm I. verlangte statt des republikanisch-demokratischen Liedes die Kaiserhymne: "Heil Dir im Siegerkranz, Herrscher des Vaterlands! Heil, Kaiser, Dir!" Hoffmanns Lied fand neben der "Wacht am Rhein" und der Kaiserhymne nur langsam seinen Platz im Gesangsgut der Deutschen, bis es 1912 als "Deutschlandlied" zum meistgesungenen Lied der Deutschen geworden war.

Nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches, den revolutionären kommunistischen Versuchen, eine Sowjetrepublik nach russischem Vorbild zu schaffen und dem rechtsextremistischen Kapp-Putsch, unternahm der Sozialdemokrat Ebert den Versuch, die Deutschen miteinander zu versöhnen. Er wollte das volkstümliche Deutschlandlied nicht den Feinden der Republik als Waffe überlassen und machte es zur Nationalhymne. In seinem Aufruf am 11. August 1922 betonte er darum besonders die dritte Strophe des Liedes: "Einigkeit und Recht und Freiheit!".

Das von Ebert zur Nationalhymne erhobene Lied wurde nach 1933 von den Nationalsozialisten zum Vorspann für ihr Parteilied "Die Fahne hoch" erniedrigt. Gesungen wurde nur die erste Strophe des Deutschlandlieds, seine zweite und dritte Strophe wurden durch das "Horst-Wessel-Lied" ersetzt. Dem Deutschlandlied als Teil einer "Doppelhymne" erging es damit ähnlich wie den Farben schwarz-weiß-rot des Bismarckreiches, die von den Nationalsozialisten in einer Art und Weise für ihre Hakenkreuzfahne benutzt wurden, die sich auch als das rote Fahnentuch der sozialistischen Revolution interpretieren ließ

Nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst von den Siegermächten verboten, setzte Bundeskanzler Konrad Adenauer das Deutschlandlied bei dem zunächst unwilligen Bundespräsidenten Theodor Heuss wieder als Nationalhymne durch, der dies 1952 mit der Maßgabe anerkannte, daß bei staatlichen Anlässen nur die dritte Strophe gesungen werden solle. Während Adenauer schon zwei Jahre vorher, am 8. April 1950, in der ihm eigenen Art vollendete Tatsachen geschaffen hatte, indem er bei einer Kundgebung in Berlin zur Überraschung der Anwesenden die dritte Strophe öffentlich angestimmt hatte, scheiterte Heuß bei dem Versuch, ein anderes Lied zur deutschen Hymne zu machen. Die CDU hatte schon 1951 auf ihrem Bundesparteitag beschlossen, daß "Einigkeit und Recht und Freiheit" Deutschlands Nationalhymne sein solle.

Später wurde das Deutschlandlied beim Volksaufstand des 17. Juni 1953 gegen die illegale kommunistische Herrschaft zwischen Thüringer Wald und Rügen ebenso gesungen, wie in Zuchthäusern der DDR und in fernen sibirischen Zwangsarbeitslagern. In der DDR wurde das Singen mit Verhaftung und Verurteilung geahndet. "Das Deutschlandlied ist militaristische Propaganda und gefährdet die ideologischen Grundlagen der DDR" lautete eine Urteilsbegründung.

In Westdeutschland hingegen geriet es mehr und mehr in die politische Rumpelkammer und ertönte meist nur noch bei internationalen Sportveranstaltungen und wenn ausländische Staatsgäste begrüßt wurden. Für die "Systemveränderer" der späten 60er Jahre waren die sozialistische "Internationale" und das Kampflied, "Venceremos" kommunistischer Guerilleros wichtiger. So gab es dann auch 1976 diese kommunistischen Kampflieder in vielerlei Fassungen im Schallplattenhandel - aber keinen einzigen Tonträger mit dem gesungenen Text der Nationalhymne, so daß sich eine Bürgerinitiative bilden mußte, um die Hymne des eigenen Landes "unter die Bürger zu bringen".

Die 68er betrieben hingegen "die kritische Diskussion über das Deutschlandlied" mit der ihnen eigenen besonderen Inbrunst. Noch 1989 beschloß ausgerechnet die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), deren Mitgliedern in besonderer Weise die Jugend unseres Landes anvertraut ist, das Lied müsse "als Ganzes als Nationalhymne verworfen werden.

Doch die Ereignisse der Wiedervereinigung im selben Jahr wurden von der Nationalhymne begleitet. Spontan wurde sie im Deutschen Bundestag von den hinteren Bänken (dem CDU-Abgeordneten Hermann Josef Unland) aus angestimmt, als die Nachricht vom Fall der Mauer in Brlin das Parlament erreichte. Zögerlich erhoben sich nach und nach auch die vorderen Bankreihen, einige Abgeordneten der Grünen flüchteten erschreckt aus dem Plenarsaal. Am 3. Oktober 1990 besiegelte die gemeinsam gesungene Strophe von "Einigkeit und Recht und Freiheit" die Feier zur Deutschen Einheit vor dem Reichstag in Berlin.

Die dritte Strophe ist ein würdiges Bekenntnis und zugleich Teil eines Liedes, das unser Volk seit über 155 Jahren durch Höhen und Tiefen seiner Geschichte begleitet. Der 150. Geburtstag des Hoffmannschen Liedes war am 26. August 1991 Anlaß für den damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker und Bundeskanzler Helmut Kohl festzustellen, daß diese dritte Strophe des Deutschlandliedes Nationalhymne des wiedervereinigten Deutschland ist. Damit war auch die Idee begraben, eine Kombination von Deutschlandlied mit der Eislerschen DDR-Hymne zu singen.

Auch der kleinliche Streit um die Hymne, der immer wieder angefacht wurde und im Ausland schon längst Unverständnis und Kopfschütteln auslöst, sollte endlich beendet sein. Die Nationalhymne ist für die Deutschen ein so selbstverständliches Symbol ihres demokratischen Staates, wie das für andere Völker mit ihren Hymnen auch der Fall ist.


 
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