© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/97  08. August 1997

 
 
Gotteslästerung: Die Hemmschwelle sinkt weiter
Neue Provokationen
Kommentar
von Felizitas Küble

Der kürzliche Vorstoß von drei CSU-Abgeordneten für eine Verschärfung des Gotteslästerungs Paragraphen 166 löste erneut eine öffentliche Diskussion darüber aus, ob Glaubensaussagen in unserem Land stärker geschützt werden sollten. Verunglimpfung von Glaubensinhalten wird nur dann bestraft, wenn die beanstandete Blasphemie "geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören".

Wann genau eine solche "Störung" vorliegt, verrät der Gesetzestext freilich nicht. So bleibt für Staatsanwälte und Juristen noch ein begrenzter Deutungsspielraum, der aber nur in seltenen Fällen zu einer Verurteilung führt. Das Grundgesetz sichert zwar die Meinungsfreiheit, nicht jedoch Beleidigungsfreiheit und diffamierenden Tabubruch. "Grenzüberschreitungen" auf Kosten der Fairneß und Toleranz erschweren den inneren Frieden und den Respekt vor Andersdenkenden.

In der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden wird dergleichen seit Monaten vorgeführt. Dort sorgt ein von Christen als gotteslästerlich empfundenes "Kreuz" im Rathaus für erbitterte Kontroversen auf Veranstaltungen und in den Leserbriefspalten der Lokalpresse. Die von den Befürwortern als "Kunstwerk" definierte Darstellung trägt den bezeichnenden Titel "Jumpin the Border" – Überschreite die Grenzen! Das heißdiskutierte "Kruzifix", daß seit Mitte Juni im Rathaus aufgestellt ist, zeigt eine nackte Frau, die sich im Stechschritt vom Kreuz zu lösen beginnt. Die irische Künstlerin Constance Short erklärte hierzu: "Alles, was ich mit meinem Werk ausdrücke: daß die Frau vom Kreuz abspringen sollte, ohne sich schuldig zu fühlen." Zu dem, was die Frau als "Kreuz" belaste, zählt die feministisch geprägte Irin ausdrücklich auch die "Kindererziehung".

Über die Frage, ob es sich bei "Jumpin the Border" um ein Kunstwerk oder ein blasphemisches Machwerk handelt, erhitzten sich schon vor der öffentlichen Enthüllung die Gemüter. Die Anregung, das "grenzüberschreitende" Bild auf Stadtkosten zu kaufen und im Rathaus auf Dauer öffentlich aufzustellen, stammt von Margarethe Goldmann, ehemalige grüne Kulturdezernentin, jetzt Vorsitzende der Volkshochschule. Sie ist die Lebensgefährtin des sozialdemokratischen Oberbürgermeisters Achim Exner, der bis September amtiert und einer rot-grünen Stadtregierung vorsteht.

Die oppositionelle CDU stand der umstrittenen Darstellung zunächst "neutral" bis unsicher gegenüber, was sich schnell änderte, als die Republikaner im Stadtparlament den Antrag stellten, die geplante Enthüllung der "Grenzüberschreitung" im Rathaus zu verhindern. Hätten sich die Christdemokraten, wie zunächst geplant, der Stimme enthalten – mit einer alarmierenden Wirkung auf das Wahlverhalten von einigen SPD-Stadtverordneten –, so hätte der Antrag eine Mehrheit finden können. Dies zu verhindern, ließen sich die Christdemokraten einiges kosten, nämlich ein "Nein" zum REP-Antrag und damit eine Zustimmung zum umstrittenen "Kreuz" im Rathaus.

Die Bild-Zeitung kommentierte den Republikaner-Vorstoß in gewohnt feinfühliger Art: "Rechtsradikale versuchen immer wieder, Front gegen alles Fremde, Ungewöhnliche zu machen." Auch die FAZ berichtet ausführlich – und sachlicher – über den Streit im Wiesbadener Sommerloch und zitierte Exner mit dem Dauerslogan: "Wehret den Anfängen!" – Damit meinte der Noch-Bürgermeister freilich nicht die Verhöhnung des Kreuzes Christi, sondern den Republikaner-Antrag, der ihn an die "Bücherverbrennung im Dritten Reich" erinnere. Derweil gingen die Republikaner vom Reden zum Handeln über und erstatteten Anzeige bei der Staatsanwaltschaft gegen "Jumpin the Border" wegen Verunglimpfung christlicher Glaubensinhalte. Die Staatsanwaltschaft Wiesbaden lehnte es ab, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten und ließ die Antragsteller wissen, daß das beanstandete Kreuz keine "Beschimpfung" des christlichen Glaubens darstelle und daher auch nicht geeignet sei, den "öffentlichen Frieden" zu stören.

Die beiden Kritiker, Peter Schadt und Mark Olaf Enderes, legten Beschwerde ein und ergänzten ihren Strafantrag mit § 189 ("Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener") bezogen auf Jesus Christus. Die Reaktion der Staatsanwaltschaft auf diesen Antrag steht noch aus.

Sicher ist, daß die öffentliche Diskussion in Wiesbaden weiter Wellen schlagen wird. Derzeit sammelt ein Katholik hunderte von Unterschriften empörter Christen gegen die Anbringung der "Grenzüberschreitung" im Rathaus. Zu den Unterzeichnern gehören auch katholische und evangelische Amtsträger, die es nicht hinnehmen wollen, daß das zentrale Symbol ihres Glaubens öffentlich verunglimpft wird.Viele Christen, nicht nur Kirchgänger, äußern sich enttäuscht über den Standpunkt – oder besser: Standpunktlosigkeit? – der Partei mit dem "hohen C".

Man darf gespannt sein, ob und wie sich Bischof Franz Kamphaus Mitte September anläßlich des Festes der Kreuzerhöhung zu dem umstrittenen "Kreuz" äußern wird. Als Abschluß der traditionellen Kreuzwoche ist ein kirchlicher Festakt vor dem Rathaus geplant. Dann wird die Frage nach "Jumpin the Border" wohl buchstäblich in der Luft liegen. Es wird sich zeigen, ob der Limburger Oberhirte ein klärendes Wort findet.


 
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