© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/97  08. August 1997

 
 
Gewalt: Hemmschwellen sinken – wer hat den Mut zur Zensur
Brutalität – virtuell und real
von Andreas Mölzer

Ein Niederbayer namens Norbert Niemann hat jüngst den Klagefurter Ingeborg Bachmann-Preis gewonnen. Sein preisgekrönter Text befaßte sich mit der Mediengeneration und der Dominanz der Medien und ihrer Interpretation allen Geschehens für unser Leben. Zur gleichen Zeit etwa gab es eine ÖVP-Initiative zum Schutze der Kinder vor den Brutalitäten im Fernsehen. Dazu ein, zwei Zeitungsberichte, der eine oder andere eher ironische Kommentar, weiter nichts.

Nun hat poeta laureatus Niemann zweifellos recht, wenn er meint, daß unser Leben, zumindest in eben jenem Maße von den Medien bestimmt sei, wie es in vergangenen Jahrhunderten möglicherweise von der Kirche geprägt war. Und die zitierte ÖVP-Initiative darf vollends mit der Zustimmung zumindest all jener Bürger des Landes rechnen, die Kinder haben. Konsequenzen aber hat man im öffentlichen Diskurs aus beiden Faktoren bislang noch nicht gezogen. Gewiß, der Mord eines 15jährigen Niederösterreichers an seiner Lehrerin hat Entsetzen ausgelöst. Und wenn 12-Jährige mit Handgranaten in der Schule auftanzen, ist es noch immer eine Schlagzeile im Boulevard wert. Der Gesetzgeber aber und die ebenso meinungsbeherrschenden Medien setzen keine wirklichen Initiativen, um diese bedrohlichen Symptome einer erschreckenden Brutalisierung, insbesondere der Kinder, zu bekämpfen.

Jeder Videothek hat eine Abteilung, in der man Horror- und Zombie-Videos zu Dutzenden, und zwar mehr oder weniger ohne jede Altersbeschränkung, mieten kann. Da wird mit der Kettensäge zersägt, da werden Leiber zerschossen, Gliedmaßen abgetrennt, da wird gemetzelt, gemordet und Schlächterei ist etwas durchaus Alltägliches. Dies aber ist nur die Spitze des Eisbergs: Seit einigen Jahren, seit die Mehrzahl auch der österr. Haushalte mittels Satelitenschüssel und Kabelfernsehen dutzende TV-Stationen verfügt, sind in den meisten Familien bereits die Kleinkinder einer Vielzahl von Fernsehprogrammen ausgesetzt, in denen die Brutalität bereits mit dem Zeichentrickfilm beginnt. "Tom und Jerry" sind ja lieb, das was sie einander antun, ist aus strafrechtlicher Sicht wahrlich amerikanische Gerichtsurteile von mehreren Jahrhunderten Gefängnisstrafe würdig. "Kommisar Rex", das Idol der österreichischen Achtjährigen – das Schäferhunderl ist ja soooo lieb und g’scheit – agiert ausnahmslos in Stories, in denen man zwar wenig reales TV-Blut, aber dafür sattsam perverse Handlungen, Lustmorde in der Lobau, Voyeure im Schönbrunner Schloßpark, mordlustige Agenten etc. pp. am Bildschirm verfolgen darf. Das Infame dabei ist, daß der herzige Schäferhund und die anheimelnd bekannte Wiener Kulisse den guten "Kommissar Rex" nachgerade zum Familienprogramm macht. Als solches trägt es allerdings sattsam zur Brutalisierung unserer Kinder bei.

Wie viele Morde pro Tag konsumiert das österr. Vorschulkind eigentlich? Drei, 30 oder mehr? Keine sexuelle Perversion, keine Brutalität, keine soziale Zerrüttung der Gesellschaft der Familien ist diesen frühkindlichen Konsumenten dutzender Fernsehprogramme fremd. Sie selbst haben sich als Menschen zwar noch nicht gefunden, die Untiefen des menschlichen Seins aber kennen sie bereits.

Neil Postman, jüdisch-amerikanischer Kommunikationstheortiker, predigt es uns seit zwei Jahrzehnten: Virtuelle Welten und trivialisierte, reale Brutalitäten stehen miteinander, insbesondere für Kinder und Jugendliche in den Medien in Konkurrenz. Der Heranwachsende, der Pubertierende kann dies nicht bewältigen. Gewiß, die gemetzelte Lehrerin von Zöbern in Niederösterreich ist das Opfer eines scheußlichen Verbrechens, das ein 15jähriger verübt hat. Der selbe Jugendliche aber ist das Opfer dieser Gesellschaft, unserer Gleichgültigkeit. Welche Persönlichkeit, welche politische Kraft hat endlich den Mut, hier beinharte Zensur zu fordern?

Gewiß, dem Liberalen ist Zensur ein Greuel. Es geht um eine Form der Güterabwägung: Die Seele unserer Kinder sollte uns wichtiger sein, als die Freizügigkeit einer boomenden Industrie von Brutalo- und Action-Filmen, die mit Perversitäten und Gewalt jeglicher Art Milliarden scheffelt. Dieses Problem ist gewiß nicht für Österreich alleine zu lösen. Hier einen Anfang zu setzen, wäre Aufgabe aller positiv Denkenden quer durch alle politischen Lager.


 
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