© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/97  08. August 1997

 
 
Hochwasser: Menschengemachte Ursachen werden verdrängt
Land unter!
von Hans Leminger

Das Jahrhundert-Hochwasser an Oder und Neiße hätte "noch viel schlimmere Folgen" haben können, wenn die beiden Flüsse so zerstört gewesen wären, wie der Unterlauf von Rhein und Mosel. Zwar haben die gewaltigen Regenfälle in Ostbrandenburg und Ober- und Niederschlesien das Flußsystem der Oder vollkommen überfordert und in weiten Teilen zu katastophenähnlichen Zuständen geführt, aber dies "dürfe den Politikern nicht als billige Ausrede dienen", warnte Hubert Weinzierl, der Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), bei einer Pressekonferenz in Bonn. Denn das, was der naturnahe Oder-Unterlauf immerhin noch imstande ist zu leisten, nämlich große Wassermassen zwischenzuspeichern, dazu wären viele unserer "begradigten Flüsse mit ihren zugebauten Auen längst nicht mehr" fähig, gab der BUND-Vorsitzende zu bedenken.

Alle Aufregung über organisatorische Mängel oder natürliche Ursachen sind somit kaum ernstzunehmen, wenn man bedenkt, daß die seit Jahren an Rhein und Mosel in großer Regelmäßigkeit auftretenden Hochwasser weniger natürliche als vielmehr menschengemachte Ursachen hat und dies bisher nicht zu einem Umdenken in der Politik geführt hat. Zum wiederholten und ganz sicher nicht zum letzten Mal hat deshalb Weinzierl ein Umdenken angemahnt und die Politik zu mehr Auen- Wald- und Bodenschutz aufgefordert.

Eine der wichtigsten unnatürlichen Ursachen von Hochwasser-Katastrophen ist die Begradigung von Flüssen: Der Ausbau der Fließgewässer zu fest eingefaßten kanalähnlichen Wasserrinnen zum Zwecke des Gütertransportes trennt diese von ihren natürlichen Überschwemmungsgebieten, den Flußauen. Praktisch alle größeren deutschen Flüsse sind inzwischen eingedeicht und wurden ihres natürlichen Flußlaufes beraubt. Die Flußläufe wurden dadurch stark verkürzt. Beim Oberrhein wurden so ganze 82 Kilometer "eingespart", beim Unterrhein immerhin noch 23 Kilometer. Eines der offensichtlichsten Folgen war die enorme Erhöhung der Fließgeschwindigkeit. Die Fließzeit der Hochwasserwelle hat sich dadurch von Basel bis Maxau bei Karlsruhe von früher 63 auf jetzt 23 Stunden fast gedrittelt. Während früher Hochwasserwellen der Flüsse zeitlich verschoben waren, hat sich diese wegen des Ausbaus von Haupt- und Nebenflüssen überlagert, so daß sich die Hochwasserwellen immer öfter gegenseitig hochschaukeln. Ein einfacher historischer Rückblick macht diesen Zusammenhang deutlich. Während in den 1880er, 1940er und 1950er Jahren der Flußbegel des Rheins bei Maxau jeweils nur einmal einen Pegelstand von acht Metern erreichte, wurde dieser Hochwasserwert in den 1980er Jahren achtmal, in dem noch nicht zu Ende gegangenen Jahrzehnt bereits viermal erreich. Fazit: Es gibt nicht nur immer mehr, sondern auch immer höhere Hochwässer.

Eine weitere Ursache für den verstärkten Abfluß von Niederschlägen in die Flüsse sind die Kahlschläge und sterbenden Wälder. Im Einzugsbereich von Oder und Neiße sind dies insbesondere die Sudeten, die nordöstlich Gebirgsumrandung des Böhmischen Beckens zwischen Zittauer Bucht und der Mährischen Pforte, die dramatisch unter den Abgasen von Industrie, Verkehr und Haushalten leiden. Wo aber das schützende Kronendach der Wälder fehlt, erreichen die gesamten Niederschläge den Erdboden. Dichte Wälder können hingegen große Mengen des Jahresniederschlags abfangen. Im Durchschnitt kann man bei unserer Wälder von einem Viertel der Niederschläge ausgehen, das direkt von Blattwerk aus verdunsten. In Deutschland sind das etwa 20 Milliarden Kubikmeter Niederschlag jährlich, die gar nicht erst den Erdboden erreicht.

Eine weitere wichtige Ursache für die Hochwässer ist die zunehmende Versiegelung der Böden. In Deutschland verschwinden jeden Tag rund 80 Hektar noch weitgehend natürlichen Bodens unter Asphalt und Beton. Das entspricht in etwa 150 Fußballplätzen, die dem Straßen- und Siedlungsbau weichen müssen und so verhindern, daß der Regen in den Boden versickern kann. Das Wasser fließt oberirdisch ab, gelangt in die Kanalisation und schließlich in die Flüsse, die dadurch rasch anschwellen. Unversiegelter Boden kann Regen speichern und läßt diesen entweder in die Atmosphäre verdunsten oder gibt ihn erst mit großer Verzögerung an die Flüsse ab. Schon seit langem fordern deshalb Umweltverbände eine Entsiegelung von Flächen als Beitrag zum Bodenschutz und zur Vermeidung von Hochwässern.

Jeden Tag verschwinden 80 Hektar Boden unter Beton

 

Eine schon seit einigen Jahren diskutierte Ursache für die Hochwasserkatastrphen ist die Verbauung der natürlicher Flußauen. Aber alles Wissen scheint hier wenig zu helfen. "Noch immer weisen ehrgeizige Bürgermeister in Überschwemmungszone neue Bau- oder Gewerbegebiete aus", so Weinzierl auf der Pressekonferenz. "Die Zusagen von mehr Bodenschutz während eines schlimmen Hochwassers geben sich schnell als Lippenbekenntnisse zu erkennen, wenn neue Einnahmen aus der Gewerbe- oder Einkommensteuer winken." Erst kürzlich wurde beispielsweise im Saarland eines der letzten halbwegs naturnahen Auengebiete an der Saar zu einem Standort einer Aluminium-Gießerei umfunktioniert.

"Gerade weil die Oder zum Teil noch ein freifließender Fluß ist und deshalb viel Wasser in ihren Auen speichern kann", so das Fazit des BUND-Vorsitzenden, "mahnt uns die aktuelle, weitgehend naturbedingte Hochwasser-Katastrophe, Flüsse keinesfalls weiter auszubauen und – wo immer es geht – Kanalisierungen von Bächen und Flüssen rückgängig zu machen."

Das heißt also, Erhalt der lezten naturnahen Auen wie die an Oder, Elbe und Donau und gleichzeitig Neuschaffung von Überflutungsflächen an Flüssen wie Rhein und Mosel. Aber als letzte Konsequent bedeutet das, daß die Bodenversiegelung endlich gestoppt werden muß. In dieser Frage scheint der größte Handlungsbedarf zu bestehen.


 
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