© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31/32/97  25. Juli/ 01. August 1997

 
 
Zeitgeschichte: Auswärtiges Amt will rechten Verlag mundtot machen
Kinkels langer Arm
von Andreas M. Daniel

Ein Bonmot aus Kreisen ostdeutscher Heimatvertriebener, der einstige Außenminister Hans-Dietrich Genscher sei "der beste Außenminister, den Polen je hatte", hat jetzt von dem Landgericht Berlin seine nachträgliche Aktualisierung erfahren.

Der Kieler Arndt-Verlag - spezialisiert auf Bücher zu den Themen Geschichte, Politik und Vertreibungsgebiete - hatte bereits 1995 ein Weißbuch des Auswärtigen Amtes aus dem Jahre 1940 mit dem Titel "Dokumente polnischer Grausamkeiten" nachgedruckt. Es handelt sich dabei um eine Dokumentation der Ereignisse um den sogenannten "Bromberger Blutsonntag" vom September 1939, als Tausende von Volksdeutschen im Gebiet Westpreußen/Posen (das durch das Versailler Diktat mitsamt seiner überwiegend deutschen Bevölkerung an Polen gefallen war) grausamen und oft sadistischen Mißhandlungen durch polnische Zivilisten zum Opfer gefallen waren.

Wenngleich diese Dokumentation 1940 zweifelsfrei propagandistischen Zwecken diente, so ist sie doch ihrem Charakter nach zeitlos, da sie sich im wesentlichen aus eidesstattlichen Versicherungen Betroffener, gerichtsärztlichen Gutachten, Dokumentarfotos und gerichtsärztlichen Bildberichten zusammensetzt. Lektüre und Durchsicht setzen allerdings starke Nerven voraus, und es muß vermerkt werden, daß der sich dabei verfestigende Eindruck so gar nicht zu der "Opferrolle" passen will, die Polen in der deutschen Öffentlichkeit zukommt.

Im Juli 1996 trat erstmals das heutige Auswärtige Amt auf den Plan. Es glaubte eigene Interessen tangiert, da der Nachdruck des Buches den alten Originaluntertitel "Im Auftrage des Auswärtigen Amtes aufgrund urkundlichen Beweismaterials herausgegeben" trug. Das Außenministerium forderte den Arndt-Verlag auf, durch einen Aufdruck "Nachdruck aus dem Jahre 1940" deutlich zu machen, daß nicht das heutige Auswärtige Amt Urheber der Dokumentation sei. Diesem Wunsch kam der Verlag postwendend nach.

Trotzdem forderte das Auswärtige Amt Ende Januar 1997 den Verlag in barschem Ton auf, "noch verfügbare Exemplare zu vernichten" und "untersagte" die "weitere Vervielfältigung, Verbreitung und Werbung" für das Buch. Diese aus Urheberrecht begründete Aufforderung erwies sich jedoch als nicht tragfähig, nachdem der Arndt-Verlag nachweisen konnte, daß das Urheberrecht bis 1945 bei der "Deutschen Informationsstelle", einer Stiftung öffentlichen Rechts, lag und mit ihr untergegangen war.

Daraufhin brannten im Amte Kinkel offenbar alle Sicherungen durch. Arndt-Verleger Dietmar Munier: "Man drohte mir schriftlich an, die Indizierung zu beantragen und sogar Strafanzeige zu stellen. Das Auswärtige Amt wollte offensichtlich das Buch um jeden Preis vom Markt haben, Rechtsstaatlichkeit war zweitrangig. Stellen Sie sich einmal vor: Noch nie wurde die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften so offen als Zensurbehörde ins Spiel gebracht. Seit das Kanzleramt den Beitritt Polens zur NATO und EU propagiert, ist dieses Buch, das sich als heimlicher Bestseller entwickelt hat, ein Dorn im Fleische des Außenministers."

Andererseits müsse man doch bereit sein, aus der Geschichte zu lernen, so Munier. Der Bromberger Blutsonntag vom September 1939 sei die Fortsetzung der polnischen Übergriffe auf Deutsche von 1919/21 gewesen und wurde 1945/47 durch polnische Vertreibungsgreuel in Ostpreußen, Pommern und Schlesien noch bei weitem übertroffen. Diese Tatsachen könne man nicht durch Verbote totschweigen. Munier: "Denken Sie nur an unsere Fürsorgepflicht für die verbliebene deutsche Volksgruppe in Oberschlesien. Die klagt unablässig darüber, daß kein wirksamer Minderheitenschutz besteht und fühlt sich durch Bonn verraten."

Vor dem Landgericht Berlin ging diese Auseinandersetzung am 10. Juli in die vorläufig letzte Runde. Vorausgegangen war eine Einstweilige Verfügung der 16. Kammer vom 17. April, mit der dem Arndt-Verlag die Verbreitung des Buches verboten wurde, "solange und soweit es" mit dem strittigen Untertitel versehen sei. Der Verlag legte Widerspruch ein, der jetzt verhandelt wurde. Dabei wuchs der Vorsitzenden Richterin Hengst die traurige Pflicht einer Unmöglichkeit zu, nämlich der Eilbedürftigkeit - eine zwingende Voraussetzung Einstweiliger Verfügungen - im vorliegenden Falle zu begründen. Da das Auswärtige Amt bereits seit Juli 1996 mit Munier korrespondiert hatte, schied Eilbedürftigkeit im April 1997 in jedem Falle aus. Doch Richterin Hengst nahm diese Hürde mit erstaunlichem Einfallsreichtum: Die Vereinbarung zwischen Arndt-Verlag und Auswärtigem Amt vom September 1996 über den Buchaufdruck "Nachdruck aus dem Jahre 1940" sei gar nicht rechtswirksam geworden, denn das Amt habe zwar die Anbringung des Aufdruckes ausführlich und schriftlich "auf dem Bucheinband" verlangt, aber eigentlich die "Titelseite" gemeint. Der Aufdruck des Hinweises auf der Rückseite des Buchumschlages sei daher ein Verstoß des Verlages gegen Treu und Glauben. Bemerkt habe das Auswärtige Amt diesen Verstoß erst im Frühjahr 1997, so daß im April noch die Eilbedürftigkeit gegeben sei.

Dietmar Munier machte unterdessen geltend, daß diese Darstellung eine durch keine Tatsachen belegte Erfindung der Vorsitzenden sei und verwies auf die Eindeutigkeit der deutschen Sprache - vergebens. Soviel Uneinsichtigkeit wurde schließlich auch der Vorsitzenden zu viel. Sie bat den Verleger zu sich an den Richtertisch, zeigte auf das inkriminierte Buch und tadelte ihn: "Was soll denn ein Pole denken, der diesen Titel liest?"

Damit war es heraus. Bei so deutlich demonstrierter politischer Justiz wähnte Munier seine Position verloren und schloß auf der Stelle einen Vergleich mit dem Auswärtigen Amt: Der Verlag verzichtet in Zukunft auf den beanstandeten Untertitel; das Buch ist frei verkäuflich.


 
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