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Globalisierung: Arm und Reich driften auseinander Verlierer des Booms
Meinungsbeitrag
von Alain de BenoistDas schnelle Wirtschaftswachstum der westlichen Wirtschaftsriesen
und die Integration des früheren Proletariats in die Mittelklassen haben noch unlängst
die Hoffnung genährt, daß die Armut bald endgültig ausgerottet werden könnte. Seit
fünfzehn Jahren ist diese Hoffnung verflogen. Man zählt heute fünf Millionen
tatsächliche Arbeitslose in Frankreich. Das Niveau des Lebensstandards der Haushalte von
jungen Leuten unter 25 Jahren hat sich in den Jahren von 1989 bis 1994 um mehr als 15
Prozent verringert. Tatsächlich sind es sechs Millionen Personen (10% der
Gesamtbevölkerung), die am Rande des Existenzminimums leben. Und diese neuen Armen werden
zugleich immer jünger und immer ärmer.
Diese neue Armut unterscheidet sich von derjenigen, die man aus der Vergangenheit kennt.
Die gegenwärtigen Ungleichheiten seind nicht mehr lediglich strukturelle Ungleichheiten
zwischen verschiedenen wohldefinierten sozialen Gruppen, sondern sind im Inneren jeder
einzelnen sozialen Gruppe vorhanden, wo sie Spannungen verursachen, die vormals das
Ergebnis von Rivalitäten zwischen den Gruppen gewesen ist. Es sind Ungleichheiten, die
ihre Kategorien innerhalb dieser Gruppen erhalten, die heute immer wichtiger werden. Der
Ausschluß der Armen schließlich bezieht sich nicht mehr auf eine Klasse als ganze,
sondern ist ein Prozeß, der alle sozialen Gruppen einbezieht, die Mittelkasse
eingeschlossen. Die allgemeine gesellschaftliche Entwicklung jedoch hat diese
Ausgeschlossenen mehr und mehr zu unnützen Mitgliedern der Gesellschaft und zu
Kostenfaktoren degradiert. In traditionellen Gesellschaften hatte jeder seinen ihm
zugewiesenen Platz. Heute bildet der Rest einen Teil der Gesellschaft - dieselbe
Gesellschaft, die fortgesetzt die Menschenrechte kommentiert -, der anscheinend dazu
verdammt ist, überflüssig zu werden.
Die Situation auf der internationalen Ebene ist ähnlich. In Osteuropa hat sich die Anzahl
der unterhalb der Armutsgrenze Lebenden von 4 Millionen im Jahr 1987 auf heute etwa 120
Millionen erhöht. Die industrialisierten Länder zählen ihrerseits 100 Millionen Arme,
37 Millionen Arbeitslose und 5 Millionen Obdachlose. Was die Globalisierung des Handels
anlangt, so vergrößert sie die Ungleichheiten, anstatt sie zu verringern: das
Verhältnis zwischen den 20 Prozent der Ärmsten und den 20 Prozent der Reichsten der
Menschheit, das 1960 1:30 betrug, hat 1995 das Verhältnis von 1:78 erreicht. Und die
Entlohnung eines amerikanischen Generaldirektors ist heute durchschnittlich 173mal höher
als die eines seiner Mitarbeiter!
Bedroht vom ausbleibenden Wachstum, werden auch die Arbeitsplätze vom technischen
Fortschritt zerstört. Hervorgebracht von Ökonomien kolossalen Ausmaßes, die immer mehr
Güter und Dienstleistungen mit Hilfe von immer weniger Menschen hervorbringen. Hinzu
kommen noch die Folgen der Globalisierung - nicht so sehr die des Handels, sondern die des
Kapitals. Es ist in der Tat die Höhe der Gewinne, die in der Finanzsphäre gemacht
werden, die die erforderliche Rentabilität des investierten Kapitals in der realen
Wirtschaft festlegen. So verschärft die Globalisierung eine neue Form der Konkurrenz
zwischen den Nationen: um internationales Kapital auf ihr Territorium zu ziehen, das die
Tendenz hat, nur dort zu investieren, wo es die besten Renditen gibt, streiten sich die
Länder zunehmend über die Löhne, die Steuer- und Sozialgesetzgebung. Die allgemeine
Suche nach kurzfristigen Profiten bei der Industrie entspricht der Notwendigkeit, aus dem
Kapital ebenso optimale Konditionen herauszuholen wie aus den Finanzplätzen - und sei es
um den Preis eines Sozial-Dumpings. Die Globalisierung erscheint so als Ideologie des
wirklichen sozialen Wandels, die darauf zielt, alles verschwinden zu lassen, was sich auf
dem markt nicht rentiert.
In der Tat wollen die Theoretiker des Einheitsdenkens nicht zugeben, daß der Arbeitsmarkt
nicht wie ein Markt der Waren funktionieren kann. Ganz einfach deshalb nicht, weil die
Arbeit, die ja nicht eine Ware wie alle anderen ist, eine psychologische und eine soziale
Dimension besitzt. Daran hat der Träger des Wirtschaftsnobelpreises, Robert Solow,
erinnert, als er feststellte, daß derArbeitsmarkt auch eine soziale Institution sei und
der Lohnsatz, da er eine doppelte Rolle als Produktivfaktor und einfacher Kostenfaktor
besitzt, nicht imstande sei, spontan Angebot und Nachfrage auszugleichen. Zu glauben, man
könne den Arbeitsmarkt wettbewerbsmäßiger gestalten, wenn man ihn
"dereguliere", kann in eine Sackgasse führen: Die Flexibilität, oft als
optimale Anpassung der Arbeitskraft an die wechselnde Nachfrage angepriesen, hat nur in
den Bereichen Sinn, in denen es eine elastische Nachfrage gibt und die wenig in das
menschliche Kapital investiert.
Sicher: es wird immer Ungleichheiten in der Gesellschaft geben, aber wenn diese eine
bestimmte Schwelle überschreiten, werden sie untragbar. Auch der soziale Zusammenhalt
einer Gesellschaft stellt ein Kapital dar, was im Hinblick auf die Produktivität oft
genug aus den Augen verloren wird. Dieses Kapital wird zur Zeit derart unterminiert, daß
dies zu einer Gefahr für den sozialen Frieden werden kann.
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