© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31/32/97  25. Juli/ 01. August 1997

 
 
Erweckung
Kolumne
von Karlheinz Weissmann

Es gab für die deutsche Linke immer wieder Phasen der Hinwendung zum Vaterland. In der ersten Nachkriegszeit fanden sich nach außen kaum rabiatere Verfechter politischer Selbstbestimmung als die Kommunisten, und aus der Anziehungskraft des Nationalsozialismus auf die Massen folgerte Kurt Schumacher, daß die SPD ihrerseits Nation und Sozialismus versöhnen müßte. Noch Helmut Schmidts "Modell Deutschland" sollte einen neuen (westdeutschen) Patriotismus begründen, geriet dabei allerdings in Konflikt mit jener Spielart des linken (tendenziell gesamtdeutschen) Nationalismus, der als Begleiterscheinung der Ökologie- und Friedensbewegung auftrat. Insgesamt war Begeisterung für die Nation aber eher untypisch, häufig gab die Linke jeden nationalen Bezug preis oder kultivierte ihre Germanophobie.

Bei der Wiedervereinigung und der Änderung des Asylrechts konnte man sicher sein, eher die Gegner der Einheit und die Befürworter eines melting pot zu finden. Ähnliches galt auch für die Beurteilung der europäischen Integration. Trotz sporadischer Kritik erschien Europa den meisten Linken als durchaus attraktive Möglichkeit, Deutschland los zu werden. Wenn die Probleme der Einigung nun auch von dieser Seite deutlicher angesprochen werden, verdient das also eine gewisse Aufmerksamkeit.

In einem Artikel der taz vom vergangenen Wochenende warnte Micha Brumlik vor einer allzu optimistischen Einschätzung der europäischen Entwicklung. Bisher sei jedenfalls nicht erkennbar, welche Instanz der EU an die Stelle der Nation treten könne, und der Nationalstaat bleibe doch die "in der bisherigen Weltgeschichte einzig bekanntgewordene Formation, in der … liberale Freiheiten, demokratisch legitimiertes Recht und soziale Sicherheit verwirklicht wurden". Zeichnen sich damit die Umrisse eines neuen linken Patriotismus ab? Wohl kaum. Der Linke Brumlik interessiert sich nur dafür, wie etwas "funktioniert", nicht dafür, was etwas "ist". Nationen sind aber keine Konstrukte, sondern historisch gewordene und bedingte Größen. Einsicht in ihre Nützlichkeit kann ihren Fortbestand nicht sichern, dafür benötigen sie ein bestimmtes Maß an "Überdeterminiertheit" (Arnold Gehlen), um nicht nur brauchbar zu wirken, sondern Glauben, Begeisterung, Hingabebereitschaft und Solidarität zu wecken. Solidarität ist zwar ein genuin "linker" Wert, aber die Progressiven werden wohl kaum neu lernen, ihn mit der eigenen Nation in Verbindung zu bringen.

 
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