Brandenburg: Peter-Michael Diestel über seine politischen
Ambitionen in der CDU
"Europa wird ein Fiasko werden"
Interview mit Peter-Michael Diestel
Fragen: Thorsten Thaler
Herr Diestel, bei unserem letzten Gespräch vor eineinhalb Jahren hatten Sie
angekündigt, sich wieder stärker in die Politik einmischen zu wollen. Bei dieser
Absichtserklärung ist es dann geblieben. Jetzt haben Sie Ihr Interesse an dem CDU-Vorsitz
in Brandenburg bekundet. Nehmen Sie immer nur Anlauf, oder wollen Sie auch mal springen?
Diestel: Damals war ich noch mit anderen Lebensaufgaben
beschäftigt. Ich hatte zwar auch schon die gleichen Sorgen gehabt wie jetzt, doch damals
hatte ich noch die Präsidentschaft von Hansa Rostock inne, die ich erst mit Ablauf dieser
Saison abgegeben habe. Jetzt habe ich auf zahlreiche Anfragen aus dem Landesverband
reagiert und mich dann auch zum Zustand des Verbandes geäußert. Ein Landesverband, der
sich zielgerichtet auf ein mittleres FDP-Niveau entwickelt, über den man in Brandenburg
überhaupt nicht mehr nachdenkt, nicht einmal mehr lacht. Ein Landesverband einer Partei,
die in Bonn den Kanzler stellt und die in Brandenburg an Hilflosigkeit und Bedürftigkeit
ihresgleichen sucht. Ich glaube, daß der jetzige Landesvorstand seine Verantwortung nicht
wahrnimmt. Wenn es so weitergeht, findet in Brandenburg keine bürgerliche Politik mehr
statt.
Die märkische CDU dümpelt konstant bei 15 bis 16 Prozent vor sich hin. Was reizt
Sie daran, diesen maroden Laden führen zu wollen?
Diestel: Wissen Sie, es reizt mich nur der marode Haufen. Wenn der
Landesverband sich auf 30 oder sogar 35 bis 40 Prozent entwickeln würde, das heißt
personell, inhaltlich, programmatisch gut ausgerichtet ist, dann braucht er mich nicht.
Dann würde es sicherlich zahlreiche Leute geben, die agil, intelligent und farbig sind,
das Aufsehen der Menschen erregen und damit auch Wählbarkeit demonstrieren. Das ist aber
nicht so, und deshalb reizt mich einfach jetzt die Aufgabe, weil in keiner Ecke des
Landesverbandes Licht am Ende des Tunnels erscheint.
Die brandenburgische CDU ist in den letzten Jahren vor allem durch innerparteiliche
Querelen aufgefallen. Sie selbst gelten als jemand, der Gräben eher aufreißt und
vertieft statt sie zuzuschütten. Sind Sie wirklich der Richtige?
Diestel: Also, was Sie jetzt beschreiben, das kann ich so nicht im Raum
stehen lassen. Der jetzige Landesvorsitzende hat seit 1990 gegen jede Person, die sowohl
die Fraktion als auch die Partei geführt hat, intrigiert, um letztendlich den gesamten
Landesverband an sich zu reißen. Jetzt ist meine Absicht zurückzukehren und ich kehre
zurück, nicht um Rache zu nehmen, sondern einfach nicht zuzulassen, daß eine Partei von
einem Mann geführt wird, der maximal Trabant oder gebrauchte Wartburgs verkaufen kann,
aber keinen Mercedes. Damit möchte ich die Programmatik der CDU vergleichen. Sie sagen,
ich sei ein Mann der eher Gräben aufreißt als zuschüttet. Sie wissen sicher, daß ich
im Land Brandenburg der einzige CDU-Politiker bin, der in der Bevölkerung mehrheitsfähig
war. Ich war immer in den Umfragen nach Stolpe und Hildebrand Nummer zwei oder Nummer
drei. Auch nachdem ich Fraktionsvorsitz und Mandate abgegeben habe. Jetzt kennt man
überhaupt niemanden aus der CDU.
Ihre Gegner schelten Sie als den Möllemann der CDU. Gilt Ihnen die Darstellung in den
Medien, die PR-Arbeit der eigenen Person mehr als inhaltliche Positionen?
Diestel: Wissen Sie, Sie haben mich angesprochen, um mit mir ein
Interview zu führen. Warum führen Sie es nicht mit Herrn Wagner? Sicherlich, weil Sie
sagen, dort ist jemand, von dem ich weiß, wofür er steht. Überall nutze ich die
Gelegenheit, um das darzustellen, woran ich glaube, wofür ich auch bereit bin zu
streiten. Ich kann mich an ein Interview mit Ihnen erinnern, da habe ich gesagt, daß ich
es für legitim und für notwendig halte, daß sich die CDU in allererster Linie mit den
Menschen beschäftigt, die durch die Wende untergepflügt worden sind oder die man
unterpflügen wollte, mit den ehemaligen Vertretern der Sicherheitsorgane und der
Administration, die im eigentlichen Sinne ja konservativ, vielleicht sogar wertkonservativ
ausgerichtet sind. Das ist mir schwer auf die Füße gefallen. Das sind die Themen, für
die man mich ausgegrenzt hat. Doch ich halte diese Themen nach wie vor für richtig. Der
Unterschied ist jetzt, daß 1997 meine dümmsten Gegner erkennen, daß das richtig war,
daß man sich um dieses riesenhafte Wählenpotential auch bemühen muß. Nichts anderes
tue ich.
Sie haben damals auch beklagt, daß mitteldeutsche Politiker bundespolitisch keine
Rolle spielen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, weil sie sich wieder ins Private
zurückgezogen haben. Ist das eine weitere Motivation für Sie?
Diestel: Ich will es noch etwas zuspitzen: Es ist nicht nur so, daß
sie sich zurückgezogen haben, sondern es ist so, daß man sich aus Bonn, aus dem Westen
heraus bemüht, geeignete Personen herauszusuchen. Man hat zum Beispiel auf der Suche nach
einem Bundespräsidenten immer vordergründig die Absicht erklärt, dieser solle aus dem
Osten kommen. Dann hat man sich den besten ausgesucht und hat ihn hochgehalten und hat ihn
reden lassen. Dann hat man ihn wieder fallenlassen. Man sucht sich Leute nach
Gesichtspunkten, die man in Bonn oder werweißwo für zweckmäßig hält und meint, diese
Figuren uns Ostdeutschen vor die Nase zu halten. Das andere Modell, das man neben der
Auswahl "geeigneter Ostdeutscher" praktizieren will, nämlich uns altdeutsche
Bundesbürger vor die Nase zu setzen, das ist archiviert und läßt sich auch politisch
nicht mehr beleben. Also müssen sie mit Figuren, die man entweder nicht kennt und die vor
Hilflosigkeit auf die Nase fallen wie Wagner, oder mit bunten Vögeln, wie Eggert, de
Maizire oder vielleicht Diestel auftrumpfen.
Wie können sich die mitteldeutschen CDU-Verbände aus der Umklammerung einer
westdeutsch dominierten Bundespartei lösen?
Diestel: Wenn die ostdeutschen Landesverbände nicht zu einem neuen
Selbstbewußtsein finden, das kritischer und deutlicher die Interessen Ostdeutschlands
sowohl in der Partei als auch in den Parlamenten vertritt, dann glaube ich, wird man die
CDU irgendwo in einem Schattendasein wiederfinden oder vielleicht auch gar nicht mehr
wiederfinden.
Mit welchen Inhalten wollen Sie die brandenburgische CDU gegen Stolpe positionieren?
Diestel: Für mich ist nicht Stolpe das größte Problem, sondern die
satte, vollgefressene und selbstzufriedene SPD im Land Brandenburg. Ich glaube schon, daß
es notwendig wird, brandenburgische Interessen zu polarisieren. Wir haben im Land
Brandenburg kaum einen Mittelstand. Es hat sich bei uns gar kein eigenständiger,
ortsansässiger Mittelstand entwickelt. Hier muß eine ganz spezifische Förderung
einsetzen, nicht nur verbal, nicht nur mit freundlichem Händestreicheln, sondern mit
Konzeptionen, mit Programm. Hier muß das Defizit an Eigenkapital ostdeutscher Unternehmer
durch Bürgschaften ausgeglichen werden, und es muß ein Umdenken zur eigenen Geschichte
stattfinden.
Sie haben zur PDS eine stets umstrittene Position eingenommen.Wie würden Sie Ihr
Verhältnis heute beschreiben?
Diestel: Ich habe auch in meiner Bewertung der PDS politisch recht
behalten. Die PDS ist für mich eine Partei, die auf der Basis des Grundgesetzes tätig
ist und die ihre Daseinsberechtigung hat, die aber mit geborgtem Potential arbeitet. Viele
ostdeutsche Unternehmer, Persönlichkeiten, die ich als Anwalt betreue und mit denen ich
Geschäfte mache, sagen mir, man kann doch nur PDS wählen. Das ist ein Widerspruch.
Menschen, die bürgerlich denken und bürgerlich leben, wählen PDS, weil sie sagen, ich
kann diese CDU nicht wählen und ich kann auch diese SPD in Brandenburg nicht wählen.
Vielleicht auch deshalb, weil die PDS in manchen Fragen beispielsweise ihre Ablehnung
der Einführung des Euro eine Position bezieht, die den Menschen näher ist?
Diestel: Ich glaube, daß der Prozeß nach Europa im Osten ganz, ganz
anders gesehen wird als in Bonn. Und daß im Augenblick ein riesenhafter Fehler
organisiert wird, indem man versucht, die deutschen Widersprüche zu ignorieren. Wir haben
im Augenblick einen unüberwindbar sich darstellenden Widerspruch zwischen Ost und West.
Wenn wir die Gemeinsamkeiten in Ost und West nicht zusammenführen, dann wird der Weg nach
Europa für uns ein Fiasko werden. Und ich glaube, daß es viel wichtiger ist, daß die
Deutschen sich Gedanken machen, wie sie zu sich finden, bevor sie nach Europa finden. Die
PDS spricht hier durchaus Töne an, die den einfachen Menschen, der die gesellschaftlichen
Zusammenhänge nicht erkennt, sehr nahe liegt.
Sie sind also für die Verschiebung des Euro?
Diestel: Ich halte es für einen großen politischen Fehler, wenn die
Bundesrepublik Deutschland sich vordergründig mit Europa beschäftigt und nicht mit der
deutschen Einheit. Wir müssen erst die deutsche Einheit schaffen! Daß das Mentale
auseinanderdriftet, ist ein riesiges Problem. Die Politik, auch die Politik meiner Partei,
hat es nicht verstanden, die Deutschen zusammenzuführen. Wenn wir dieses Zusammenführen
nicht betreiben, wird der Weg nach Europa ein Fiasko. Ich will, daß wir die Spaltung der
Deutschen überwinden.
Dafür werden aber die zwei Jahre bis zur Einführung des Euro nicht reichen.
Diestel: Das sehe ich auch so.
Also die Einführung des Euro verschieben?
Diestel: Ich habe überhaupt nicht vor, über Europa nachzudenken, wenn
ich weiß, daß wir in einer latenten Spaltung leben. Wir können die deutschen Probleme
nicht mit Europa lösen. Dieser Weg ist falsch. Also ich bin in gleicher Weise wie andere
skeptisch, was den Zeitraum angeht.
Also sind Sie für eine Verschiebung.
Diestel: Natürlich.