© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/97  18. Juli 1997

 
 
SED-Opfer: Ein Besuch beim "Help"-Vorsitzenden Pater Alexander Hussok
Mielkes Geist wird ausgetrieben
von Werner H. Krause

Für Peter Alexander Hussok beginnt der Arbeitstag kurz vor 9 Uhr. Sein Weg im Haus 1 der Ruschestraße in Berlin-Lichtenberg führt ihn an den einstigen Diensträumen des Stasi-Ministers Erich Mielke vorbei. Hussok findet es immer noch erstaunlich, daß sich die von ihm gleich nach der "Wende" ins Leben gerufene Organisation "Help" just an diesem Ort um die Opfer der SED kümmert.

"Help", das ist eine Handvoll von Leuten, die sich müht, für die mehr als 200.000 einstigen politischen Inhaftierten Gerechtigkeit zu erlangen. Viele von ihnen sehen sich heut e erneut ins gesellschaftliche Abseits gedrängt.

Auf dem Schreibtisch des Vorsitzenden türmen sich Akten. Sie enthalten Schriftwechsel mit Gerichten, Versorgungsämtern, Bundesbehörden, und immer steht ein Einzelschicksal dahinter. Etwa das des Wolfgang Isensee, der nach neunjähriger Haft in der DDR sich heute mit den Ämtern streitet. 192,50 DM Rente für neun Jahre Zuchthaus hat ihm die Bundesversicherungsanstalt zuerkannt. "Hier stimmt etwas mit unserer Justiz und politischen Kultur nicht", hat Hussock quer über den Rentenbescheid geschrieben und einen empörten Brief nach Bonn gerichtet. Die Antwort steht noch aus.

Hussok gibt an diesem Vormittag eine Presseerklärung heraus: Viele Menschen, die infolge von Denunziation in politische Haft gerieten, hatten erst 1992 die Möglichkeit, durch Einsicht in die Akten der Gauck-Behörde die Namen der Denunzianten zu erfahren. Wer indes Strafanzeige gegen die Täter stellt, sieht sich vielfach genarrt. Die lapidaren Mitteilungen der Staatsanwaltschaften lauten, daß den Anzeigen aufgrund der fünfjährigen Verjährungsfrist nicht mehr nachgegangen werden könne.

Die Folge der bundesrepublikanischen Rechtspraxis, die die Verhältnisse in der DDR völlig außer Acht läßt, gibt den früheren Tätern Auftrieb. Sie stellen sich ihrerseits als Opfer dar und verlangen von den ehemaligen Häftlingen wegen der gestellten Strafanzeigen eine sofortige Entschuldigung.
Ein ehemaliger politischer Gefangener legt Hussock wortlos ein Schreiben auf den Tisch, das er gerade durch die Staatsanwaltschaft II des Berliner Kammergerichts erhalten hat. Der Versuch, einstige MfS-Angehörige wegen Hausfriedensbruch zu belangen grundsätzlich drangen sie in Wohnungen ohne richterliche Verfügung ein macht den Betroffenen wieder einmal ihre Ohnmacht klar. Es heißt: "Soweit bei den durchgeführten Ermittlungen Mitarbeiter des MfS als Täter identifiziert wurden, die nach der hierarchischen Ordnung des MfS im Rang unter den Abteilungsleitern standen, habe ich das Verfahren nach Paragraph 17 II StPO eingestellt, da den Beschuldigten nicht mit einer für die Verurteilung ausreichenden Sicherheit widerlegt werden kann, daß sie in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum im Sinne des Paragraphen 17 des StGB gehandelt haben."

Der Anruf einer Hamburger Journalistin wird durchgeschaltet. Sie möchte Hussoks Meinung zur möglichen Gründung einer Stiftung für die Opfer kommunistischer Gewalt erfahren. Er nutzt die Gelegenheit, ein Vorhaben publik zu machen, für das er sich seit fast einem Jahr gemeinsam mit zahlreichen Mitgliedern der Enquˆtekommission des Deutschen Bundestages einsetzt. Die Stiftung könnte die schlechte materielle Situation ehemaliger politischer Häftlinge lindern. Durch Haft und anschließende berufliche Ausweglosigkeit sind heute viele von ihnen gegenüber den systemnahen Kadern benachteiligt.

Hussok weiß, wovon er spricht. Als junger Mann wurde er zu einer zweieinhalbjährigen Zuchthausstrafe wegen Beihilfe zur Republikflucht verurteilt. Als er hinterher verschiedene Institutionen und Persönlichkeiten um Hilfe anging, waren die Antworten ablehnend. Das evangelische Konsistorium der Kirchenprovinz Sachsen teilte ihm im Namen von Bischof Demke mit: "Aus verschiedenem Grund sehen wir keine Möglichkeit, darauf einzugehen." Professor Jürgen Kuczynski schrieb: "Ihrem Ersuchen, Ihnen zu helfen, kann ich leider nicht nachkommen, weil ich mich für mir völlig unbekannte Menschen grundsätzlich nicht einsetze." Der Schriftsteller Erik Neutsch raffte sich immerhin zum Eingeständnis auf: "Auch ich sehe, daß im Lande Machtanmaßung und demzufolge Fehlbehandlung von Bürgern immer mehr zunehmen. Solche Sachen erfüllen mich mit Zorn. Doch was kann ich schon tun."

Hussock dachte da anders. Eine Bekannte hatte ihn um Hilfe gegen die Anwerbungsversuche der Stasi gebeten. Daraufhin richtete er einen fünf Seiten langen Brief an Erich Mielke, in dem es hieß: "Frau St. machte auf mich einen gequälten Eindruck. Sie ist eine alleinstehende Frau, mit einem 14jährigen Sohn. Nach der Verfassung unseres Staates steht solchen alleinstehenden Müttern ein besonderer Schutz zu. Es dürfte doch wohl für die Staatssicherheit dringlichere Aufgaben zu lösen geben, beispielsweise Kampf gegen Mißwirtschaft, Verplanung u. a., als eine fleißige Bürgerin zu bedrängen."

Von Stund an rechnete er mit seiner erneuten Festnahme. Statt dessen erreichte ihn die Aufforderung, am 18. November 1985 in das Berliner Polizeipräsidium zu kommen. Es erwartete ihn ein Mann in Zivil, der ihn eines einzigen Satzes würdigte: "Ihre Eingabe ist bearbeitet worden, weitere Besuche unsererseits bei Frau St. werden nicht mehr stattfinden."

 
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