|
|
Als die Wende auf der Strecke blieb von Georg WilligKenntnis und Charakter müssen zusammentreffen, wenn das ans
Licht kommen soll, was viele lieber im Dunkeln ließen. Als Hans Apel, der
SPD-Finanzminister von 1974 bis 1978, kürzlich sein neues Buch "Staat ohne Maß
Finanzpolitik in der Sackgasse" vorstellte, da bekannte er freimütig, daß
seinerzeit er und sein Nachfolger Hans Matthöfer den Grundstock zum heutigen
Schuldengebirge gelegt hätten. Es gäbe daher keinen Grund zu der Behauptung, so mahnte
er seine Genossen, "man wäre besser gewesen".
Alles anders und vor allem besser machen wollte es allerdings nach der Niederlage der
SPD/FDP-Koalition die neue Regierung aus CDU/CSU und FDP, die am 6. März 1983 vom Wähler
bestätigt wurde. Sie versprach sogar eine große Wende. Die aber blieb aus. Es reichte
nur zu zaghaften und verspäteten Reformen.
Staatsverschuldung und langandauernde, hohe Arbeitslosigkeit hängen offensichtlich zum
großen Teil mit leichtfertigen Kompromissen zwischen Parteien und Interessengruppen
zusammen, die ihre jeweiligen Wähler ködern wollen. Diesen Mechanismus, der es schwer
werden läßt, vernünftige Maßnahmen zu realisieren, beschreibt der große Denker des
Liberalismus und Nobelpreisträger Friedrich von Hayek (1899 1992) in seinem Hauptwerk
"Recht, Gerechtigkeit und Freiheit". Darin heißt es:
"Demokratie wird zunehmend der Name für den Prozeß des Stimmenkaufs, für das
Schmieren und Belohnen jener Sonderinteressen, die in naiveren Zeiten als die 'unlauteren
Absichten' bezeichnet wurden. Dafür verantwortlich ist nicht die Demokratie als solche,
sondern die besondere Form der Demokratie, die wir heute praktizieren. Wenn die Macht
einer allmächtigen demokratischen Regierung nicht begrenzt ist, kann sie sich einfach
nicht darauf beschränken, den übereinstimmenden Meinungen der Mehrheit der Wählerschaft
zu dienen. Sie ist gezwungen, eine Mehrheit dadurch zustande zu bringen und
zusammenzuhalten, daß sie die Forderungen einer Vielheit von Sonderinteressen befriedigt,
von denen jede den besonderen Wohltaten, die anderen Gruppen gewährt werden, nur zu dem
Preis zustimmt, daß ihre eigenen Sonderinteressen gleichermaßen berücksichtigt werden.
Eine derartige Schacherdemokratie hat nichts mit den Vorstellungen zu tun, die einmal das
Prinzip der Demokratie rechtfertigen sollten." Soweit Hayek. Es kann nützlich sein,
an die wirtschaftliche Situation der Bundesrepublik vor dem Regierungswechsel 1982 zu
erinnern. Es gab Stimmen genug, die zur Umkehr mahnten. Aber die versäumte
"Wende" und die zusätzlichen Belastungen des Staates nach der Wiedervereinigung
haben den Ausweg aus der Krise nur noch schwieriger gemacht.
Nur wenige werden sich heute noch daran erinnern: Bereits Mitte 1977 wurde bei einem Stand
von 1,03 Millionen vorausgesagt, daß der Gipfel der Arbeitslosigkeit noch bevorstehe. Das
Kölner Institut für Wirtschaft rechnete damals für die Zeit von 1986 bis 1991 mit einer
Quote von 11,3 Prozent und mit einer Arbeitslosigkeit bis ins Jahr 2000. Heute sind fast
4,3 Millionen Menschen ohne Arbeit: 9,6 Prozent in Westdeutschland und 17,2 Prozent in den
neuen Bundesländern. Unsere heutigen Probleme sind also nicht vom Himmel gefallen; sie
gehen auf langandauernde Fehlentwicklungen zurück.
Auch damals schon wurden die Stimmen immer lauter, die diese bedenkliche Entwicklung, die
sich ja in einer steigenden Staatsverschuldung ausdrückte, auf das Versagen der
Marktwirtschaft zurückführten. Dem widersprach deutlich der namhafte
Wirtschaftspublizist Michael Jungblut. "Gewerkschaften, die ihre Lohnforderungen
überziehen", schrieb er am 14. Oktober 1977 in der Zeit, "produzieren damit
Arbeitslosigkeit, Politiker, die die Steuerschraube überdrehen, lösen damit schließlich
Leistungsverweigerung, Kapitalflucht und Reaktionen aus, die das Wirtschaftswachstum
gefährden. Wenn heute 83 Prozent der Arbeitslosen nicht zum Ortswechsel bereit sind, um
eine neue Beschäftigung zu finden, dann kann selbst ein kräftiger Aufschwung nicht zur
Vollbeschäftigung führen."
Die Kritiker der Marktwirtschaft hatten vergessen, daß ihre vielen als berechtigt
erschienenen Forderungen auch eine andere Seite haben. Die deutsche Wirtschaft produzierte
damals im Vergleich zu den größten westlichen Industrieländern mit den höchsten
Arbeitskosten: Mit 18,92 DM lag die Bundesrepublik an der Spitze. In den USA waren es DM
17,76, in Frankreich 12,23, in Japan 10,57, in Großbritannien 8,06. Und auch hinsichtlich
der Personalzusatzkosten standen wir mit 7,66 DM an der Spitze. Auch die Sozialkosten
wurden immer drückender. Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministers (April 1978) hatten
sich die Sozialleistungen seit 1960 mehr als versechsfacht. Von 1975 bis 1977 nahmen sie
um etwa 15 Prozent auf 379 Milliarden DM zu.
Aber diejenigen, die die Zeichen an der Wand nicht sahen oder nicht sehen wollten,
drückten nur noch stärker auf den Gashebel in eine blaue Zukunft. Auf einem
außerordentlichenParteitag der SPD in Köln im Dezember 1978 sagte Heidemarie
Wieczorek-Zeul, daß das Europaprogramm der SPD nach einigen Änderungen nun
"progressiver und vorbildlicher" geworden sei. Nun könne man "die Wurzeln
des Marxismus erkennen". Die Forderung, in Europa "zusammen mit den
Bruderparteien eine demokratische Wirtschaft zu verwirklichen", fand bei dem Kongreß
großen Beifall: das Schwergewicht der Politik sollte sich von der Verfolgung
wirtschaftlicher Interessen auf "menschliche Ziele" verlagern.
Welche konkreten Wirkungen diese in den Parteien weitverbreiteten Vorstellungen auf die
Kassen des Staates hatten, läßt ein Bericht in der Süddeutschen Zeitung vom 25.
Dezember 1981 erkennen: "Die Partei, die sich den Wünschen des öffentlichen
Dienstes härter widersetzt, ist bisher noch nicht gefunden worden. Bei der dichten
Verfilzung, die es zwischen den Parteien und der Beamtenschaft gibt, muß der Steuerzahler
aber schon dankbar sein, daß die 'Arbeitgeber' in Bonn jetzt nicht noch nachgiebiger
waren (betreffend Tarifabschluß nach Poststreik). Zu kritisieren sind aber weniger die
gewerkschaftlichen Begehrlichkeiten als die langjährigen Verwöhnungen, die die
Regierungen aller Couleur dem öffentlichen Dienst gewährt haben. Das
Durchschnittseinkommen ist dort schon auf 3.700 Mark gestiegen; das sind etwa 1.000 Mark
mehr als in der gesamten Wirtschaft. In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der
Beamten um eine halbe Million erhöht. So kostet ein Prozent Tariferhöhung im
öffentlichen Dienst heute schon 1,9 Milliarden Mark. Wo ist die Partei, die diesem Moloch
Schranken setzt?"
So hatte denn auch die Bundesrepublik um diese Zeit schon den größten Verwaltungsapparat
Europas. Wurden bei uns 27 Bürger von einem Beamten allgemeine Verwaltung ohne
Gesundheit, Bildung, Post und Verkehr betreut, so kam man in der sparsamsten Verwaltung
Europas, in Irland, mit einem Bediensteten für 50 Einwohner aus.
Die Folge war natürlich, daß der Staat nirgendwo mehr mit seinem Geld auskam. Die
Ursache dafür war neben der starken Erhöhung der sozialen Leistungen vor allem der
Versuch, das Wirtschaftswachstum durch staatliche Ausgabenprogramme anzuregen oder
dahinsiechende Wirtschaftszweige durch Milliardensubventionen am Leben zu erhalten.
"_Das verkrustete Gesundheitswesen oder die soziale Alterssicherung schreien geradezu
nach den Reformen", meinte Michael Jungblut in der Zeit vom 30. Oktober 1981:
"Das gleiche gilt für den aufgeblähten öffentlichen Dienst, für die völlig
verfahrene Agrarpolitik oder das Subventionsunwesen. Wenn in allen diesen Bereichen nicht
endlich über den Tag hinaus gedacht und gehandelt wird, dann muß das Ende dieses
Jahrzehnts schrecklich werden. Dann werden die Haushaltskrisen dieser Monate später nur
als ein harmloses Vorspiel erscheinen."
Es wurde nicht mehr zur Kenntnis genommen, daß man die Wirtschaftsordnung dadurch
untergräbt, indem man ihre "Spielregeln" mißachtet. Anton Szöllösi machte
dafür die Keynsianisch-etatistische berbürdung der Volkswirtschaft mit Ansprüchen
und Kosten verantwortlich. Die methodischen Vorzüge, schrieb er in der FAZ vom 6.
Dezember 1981, "die überragende Leistungs- und Anpassungsfähigkeit der Sozialen
Marktwirtschaft kann nur dann zum Tragen kommen, wenn man die Wirtschaftsordnung nach den
eigenen Gesetzen funktionieren läßt. Ihre Restauration und Fortentwicklung und ein
Rückzug des Staates sowie der Verbandsmacht aus den ökonomischen Bereichen ist das Gebot
der Stunde."
Tacheles redete dann Jürgen Eick am 11. Januar 1982 in der gleichen Zeitung. Er schrieb:
"Wir drohen immer mehr, eine Nation von Sozialfürsorgeempfängern,
Frühpensionären, Kranken, Halbkranken, Krankfeiernden und behandlungsbedürftigen
Sucht-Kranken zu werden. Es gibt so viele, die nur darauf aus sind, Kasse zu Lasten der
Gemeinschaft zu machen. Der nahezu vollständige 'Nulltarif' begünstigt die übertriebene
Inanspruchnahme. In der Bundesrepublik fallen statistisch gesehen je Arbeitnehmer
jährlich 25 Arbeitstage wegen Krankheit aus; in den USA nur 5 und in Japan nur 2,5 Tage.
Jeder Gastarbeiter hat die Chance, sich vollständig 'durchreparieren' zu lassen. Die
Bundesrepublik verbraucht 40 Prozent des gesamten Zahngoldes der Welt. Das ist
'unglaublich' im wahrsten Sinne des Wortes."
Ende Januar 1982 betrug die Zahl der Arbeitslosen 1,7 Millionen oder eine Quote von 7,3
Prozent. Der Staat hatte bei seinem fahrlässigen Versuch, "die Belastbarkeit der
Wirtschaft zu erproben" des "Guten" zuviel getan. Jahrelang bestrafte eine
Steuer-, Sozial- und Subventionspolitik die Leistung zugunsten der Ausbeuter der
Gesellschaft. Noch deutlicher als andere Kritiker wurde Professor Wolfram Engels, als er
von den "selbstmörderischen Absurditäten des Wohlfahrtsstaates" sprach. Wenn
es uns nicht gelingt, schrieb er in der Welt vom 18. Januar 1982, "den
Wohlfahrtsstaat an Haupt und Gliedern zu reformieren, dann wird er nicht nur den
Bundeshaushalt ruinieren, dann wird er nicht nur die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit
untergraben, sondern unter zunehmender Bürokratisierung zu Unregierbarkeit und
Immobilismus führen."
Es gab also schon damals genug kompetente Stimmen, die davor warnten, die Karre nicht noch
weiter in die gleiche Richtung laufen zu lassen. Aber alle diese Warnungen wurden nicht
rechtzeitig ernst genommen. Das Notwendige wurde auch nach dem Regierungswechsel 1982
nicht getan, und die "Wende" blieb dabei auf der Strecke.
|
|
|