© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/97  11. Juli 1997

 
 
Toleranz auf amerikanisch: Für Kritik an Österreich besteht kein Grund
Schwarzeneggers Muskelspiele
von Erich Glück

Am 9. Juli 1997 startet die neue österreichische Fußball-Bundesligasaison mit dem Grazer Lokalschlager GAK-Sturm. Nach mehreren Jahren steigt das Derby Rot-Weiß gegen Schwarz-Weiß erstmals wieder in Graz-Liebenau. Die total neu aufgebaute Sportarena präsentiert sich unter neuem Namen. Sie heißt ab sofort "Arnold-Schwarzenegger-Stadion".

So setzt die steirische Landeshauptstadt ihrem berühmtesten Kraftlackel zu dessen Fünfziger ein Denkmal. Mit seiner Spürnase für die Gunst des richtigen Augenblicks hat sich der Bodybuilder mit dem Expander von Geschick und Geduld in die Ruhmeshallen der Zelluloidhelden rund um den Hollywood-Boulevard gehantelt. Die Ehre, daß Persönlichkeiten von Politik, Kunst/Kultur, Wissenschaft oder Sport eine nach ihnen benannte Stätte selbst eröffnen oder besuchen können, wird nur ganz wenigen zuteil.

Zu ihnen gehört verdientermaßen Deutschlands Fußball-Legende Fritz Walter, dessen Namen das Stadion seiner Heimatstadt Kaiserslautern auf dem Betzenberg bereits seit mehr als einem Jahrzehnt trägt. Walter, 1954 Weltmeister, langjähriger Kapitän der DFB-Auswahl und einst Lieblingsschüler Sepp Herbergers, ist Vorbild aller Fußballergenerationen der Nachkriegszeit. Selbst einer Sportgröße wie dem im November 1992 verstorbenen Ernst Happel war es nicht mehr gegönnt, die Umbenennung des Wiener Praterstadions in "Ernst-Happel-Stadion" zu erleben. Er war mit Österreich als Spieler Dritter der WM in der Schweiz 1954 geworden, wo Deutschland mit dem 3:2-Finalsieg über Ungarn den Titel holte. Als Trainer von Weltformat gewann er mit Feyenoord Rotterdam den Weltcup, mit dem Hamburger SV den Europapokal und wurde mit den Niederlanden 1978 hinter Gastgeber Argentinien Vize-Weltmeister. Außer ihrer großen Klasse auf dem Fußballfeld hatten Walter und Happel gemeinsam, daß sie nirgendwo als Nestbeschmutzer ihrer Heimatländer auftraten.

Anders bei Schwarzenegger. Die "steirische Eiche" ortet stets dann ihre verrotteten österreichischen Wurzeln, wenn sie mitten im Konfettiregen ihrer amerikanischen Wahlheimat steht. Klar, daß die durch zahlreiche Anschwärzer vom "politisch korrekten" Schlaglicht geblendete Alpenrepublik ihren prominenten Hollywood–Export gerne als inoffiziellen Botschafter des "guten Österreich" sieht. "Arnie’s Austria" ist jedoch nicht gut, wie die verbalen Muskelspiele des "Terminators" mit dem Super-Bizeps beweisen. Das höchste ideelle Gut eines zivilisierten Menschen, die Toleranz, war nämlich nicht im Reisegepäck des ambitionierten Österreichers auf dem Weg zur amerikanischen Traumkarriere. Dafür ist er neben satten Dollarmillionen auch mit der hohen Tugend der zu Hause so schmerzlich vermißten Toleranz in den USA reichlich belohnt worden, wie er neuerdings zwischen Atlantik und Pazifik feierlich in seinem unverwechselbaren "Austro-American Accent" zu erklären pflegt.

"Toleranz und Weltoffenheit habe ich in meinem Heimatland nie kennengelernt. In den USA ist die Toleranz immer fester Bestandteil des Gesellschaftslebens gewesen", zerzaust der am 30. Juli 1947 geborene Muskelmann in unfreiwilliger Anlehnung an den Napoleon I.-Aphorismus "Geschichte ist eine Fabel, auf die man sich geeinigt hat" das ohnehin schon arg angeschlagene Image Österreichs noch mehr. Es kratzt ihn nicht, wenn ein paar verprellte Österreicher an der amerikanisierten "Eiche" immer noch über die landesübliche Schweinerei der Nestbeschmutzung "grunzen". Schwarzenegger weiß, daß sich gewisse Kreise zwischen Wall Street und White House sehr gerne österreichischen Wald- und Wiesenhonig um die Ohren schmieren lassen. Das zählt und zahlt sich aus. Der zum internationalen Leinwand-Idol und zum Ehrendoktor avancierte "Alpen-Samson" hat allerdings auch Fingerspitzengefühl. Als offener Sympathisant der Reagan-Bush-Republikaner der 80er Jahre heiratete er in den mächtigen demokratischen Kennedy-Clan mit Stammsitz in Hyannis/Massachusetts ein. Seine Frau Maria Shriver erwartet in Kürze das vierte Kind.

Der lernfähige Schauspieler aus dem Steirerland machte sich die U.S.-Version von Toleranz und Tugend rasch zu eigen. Die politische und gesellschaftliche Doppelmoral unter dem Sternenbanner hat Lewis H. Lapham, Chefredakteur von Harper’s Magazine, mit scharfer Feder sarkastisch aufgespießt: "Jedes Schulkind bei uns lernt, daß die USA immer unschuldig sind. Die Verbrechen gegen die Menschheit begehen prinzipiell die anderen. Das Ausland entfacht die Kriege, in die Amerika als Friedensvermittler eingreifen muß. Die Gegner Amerikas werden Kommunisten und Terroristen. Sie schmuggeln Drogen und Kriminialität in unser Land. Wir Amerikaner reinigen dagegen die böse Welt von ihrem Schmutz!" – Es gehört zur "Right or wrong: my country" (=Recht oder Unrecht: es geht um mein Land)–Maxime, daß die USA als selbsternanntes "God’s own country" (=Gottes eigenes Land) die als "kleine peinliche Betriebsunfälle" verharmlosten Aggressionsakte in ihrer kurzen, aber bluttriefenden Geschichte seit 1776 in ihrer Historiographie bestenfalls per Fußnoten an-
bringen.

Die Ausrottung ganzer Indianerstämme, die Minimierung des indianischen Kulturlebens auf spärlichen Reservatsbestand, und die Diskriminierung der Sprachen der Ureinwohner als "zivilsationsschädliche barbarische Dialekte" (siehe Anweisungen des "Commissioner of Indian Affairs, 1887, in: "Great Documents in American Indian History" von Wayne Moquin und Charles van Doren, S.110) sind nur ein Steinchen im großen Mosaik der martialischen Realität des "Amerikanischen Traums". Sie erklärt sich durch das "Manifest Destiny" aus dem die USA ihre missionarische Rolle mit ihren "Soldaten Christi" ableiten: vom Gott des Neuen Testaments zur Führungsmacht der Welt auserwählt zu sein. Nur so kann auch das Motto "Kill the Indian and save the man" (=töte den Indianer und rette den Menschen) des berüchtigten "Carlisle Indian School"-Modells von Richard H. Pratt am Ende des "nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer"-Zeitalters der Kriegergeneration um die Generäle Sherman und Custer begriffen werden.

Tausende Indianerkinder wurden durch Zwangsübersiedlung in weiße Kommunen ihrer Stammeskultur entfremdet und aus ihren Familien gerissen. Den geringen Toleranzpegel im Alltagsleben der USA zwischen Maine und Kalifornien, Washington State und Florida bezeugen die ungezählten blutigen Zusammenstöße in den bedrohlich anwachsenden Armutsvierteln und Ghettos der Großstädte. Sie sind Manifeste des amerikanischen Alptraums. Die Straßen- und Bandenkriege haben allemal auch rassisch-ethnische Ursachen. Sie erhalten durch das sprunghafte Anwachsen der hispanischen Volksgruppe täglich neue Sprengsätze. Die Einwanderer aus Lateinamerika machen inzwischen neun Prozent der 260 Millionen Einwohner zählenden US-Bevölkerung aus. Sogar Präsident Bill Clinton hat endlich zugegeben, daß das Problem von Intoleranz und Rassendiskriminierung auf der innenpolitischen Tagesordnung ganz oben steht. In der jüngsten Gallup-Umfrage vom Juni 1997 beklagten sich 51 Prozent der afro-amerikanischen Ethnie (sie bilden 12 Prozent der US-Gesamtbevölkerung) bei der Vergabe von Arbeitsplätzen, Wohnungen und im Zusammenhang mit den Ausbildungschancen "eindeutig benachteiligt" zu werden.

Zur ausgewogenen Präsentation des facettenreichen Gesellschaftsbildes der USA gehört selbstverständlich die Erwähnung der vorbildlichen amerikanischen Gastfreundschaft und die Offenheit der Menschen. Andererseits ist dasGewaltpotential auf der keineswegs zukleinen Schattenseite des "American Way of Life" mit seinen zum sicheren Tod führenden Abwegen enorm. Zudem lebt bereits jedes fünfte Kind in den USA unter der Armutsgrenze.

Hätte vor 33 Jahren der 17jährige Arnold einen Blick aus seiner steirischen Kraftkammer in die weite Welt US-amerikanischer Gepflogenheiten geworfen, wäre ihm aufgefallen, daß 1964 eine aufgebrachte Menschenmenge farbigen Studenten bekämpften.

An Dutzenden dunklen Stellen fehlt es nirgendwo im Lande "das der Welt das Licht der Zivilisation" gebracht hat, wie es Präsident George Bush im Jänner 1991 beim Ausbruch des Golfkriegs gegen den Irak im puritanisch-amerikanischen Selbstverständnis via CNN rund um die Erde posaunt hatte. Ob damit auch der tödliche nukleare Lichtstrahl des destruktiven Zynismus auf Hiroshima und Nagasaki vom August 1945 gemeint war, verschwieg der 41. Staatschef der USA.

Geht Schwarzenegger jetzt zur Vollendung seines 50. Lebensjahres nun doch das Licht der Objektivität auf, ehe er zum nächsten Rundumschlag gegen Österreich ansetzt, ist für uns die Frage.


 
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