© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/97  11. Juli 1997

 
 
Die Studentenproteste von 1968: Auch Erich Mielke mischte mit
Spuren führen nach Pankow
von Jutta Volz-Winckler

Irrigerweise verbindet man bis heute die beiden Dioskuren des Frankfurter "Instituts für Sozialforschung", Theodor Wiesengrund Adorno und Max Horkheimer, mit dem, was mittlerweile als "68er Studentenbewegung" in die Zeitgeschichte Eingang fand. Dabei wird zum einen übersehen, daß beiden jeder praktisch-aktionistische Impetus nicht nur fremd, sondern nachgerade verhaßt war, je älter sie wurden. Zum anderen schärft der Abstand der Jahre den Blick dafür, daß es sich bei den Lesern der beiden, mehr noch bei ihren Verstehern, um eine winzige Minderheit gehandelt haben muß. Die vermeintlich so bedrohliche "Bewegung" mag von Springer und den Sendeanstalten nicht gänzlich erfunden worden sein, ohne Zweifel aber kam es zu einer jahrelangen grotesken Überzeichnung dessen, was da war oder sein sollte.

Weiterhin tauchen nun, etliche Jahre nach der 89er "Wende", dieser eigenartig inhaltleeren linkischen Formel, Spuren auf, die zu verfolgen eine links dominierte Öffentlichkeitsherstellung kein Interesse zu haben scheint. Zumal es um die Vergangenheit nicht weniger Parteileute der Alt-BRD ginge, die mittlerweile hohe und höchste Führungsämter innehaben oder diese, bis hoch zum Kanzler, anstreben. Es geht um den kaum zu überschätzenden Anteil der DDR bei der Infiltration der akademischen Jugend Westdeutschlands, näherhin bei der Produktion des gesamten 68er-Komplexes – bis hin zur Asylierung einiger gesuchter RAF-Attentäter.

Professor D. Grille, Nürnberg, erinnerte am 10. Juni 1997 in einem Leserbrief an die Welt daran, daß die APO-Entrüstungsgründe keineswegs beseitigt wurden: Ausbeutung der Dritten Welt, Monopolherrschaft des internationalen Finanzkapitals, die ins Grundgesetz integrierte Notstandsgesetzgebung, die prekäre Hochschulsituation, die Ignoranz der breiten Masse gegenüber ihren diversen Vergangenheiten. Wo ist die 68er-Entrüstung abgeblieben? Sie floh in die Politik-Simulation der Frischluftsorge, in softe "Themen" wie Damenbefreiung und Ausländlerei. Die verlogene Erbärmlichkeit dieser Generation erhellt aus ihrer aktuellen Perhorreszierung der vordem vergötterten Volksrepublik China: zu Parteiposten und dicker Staatsknete gelangte "Antiimperialisten" betrauern den sülzigen Abgang britischer Opiumschieber aus Hongkong.

Grille nennt Roß und Reiter. Obschon die gesellschaftlichen Umstände sich kaum "gebessert" hätten, sei die eigentliche "Bewegung" auf wenige, freilich bedeutungsvolle Jahre beschränkt geblieben. Zeitgleich sei – wie Dokumente des Gauckschen Aktenmaterials beweisen – die Nationaldemokratische Partei Deutschland (NPD) von östlicher Seite unterminiert sowie die spätere "Ostpolitik" der SPD/FDP-Koalition befördert worden. Jugendbewegte "heiße deutsche Herbste" seien in der Regel von den zahlreichen Einflußagenten, der "fünften Kolonne" Pankows losgetreten wurden. Ein prominentes Beispiel unter Tausenden ist der heutige Manager des Fußballclubs Werder Bremen, Willi Lemke, der als junger linker Idealist angeworben werden sollte. "Die Planung, Organisation und Entfaltung des Protests durch Westreisekader der früheren DDR, SED-Stipendiaten und Einflußagenten in der Bundesrepublik bleibt als wesentlichster Faktor bei der Formierung des Hochschulprotestes stets außen vor." Seit 1962 wurde in den zuständigen DDR-Gremien regelmäßig über die Ziele subversiver Organisationen diskutiert; in Jena – so Grille – ließ die "SED ein Komitee zum Studim der Verhältnisse an den Universitäten Erlangen, München und Tübingen und ihrer Veränderung" gründen, in Leipzig ein solches "zur Veränderung der Universitäten Marburg, Heidelberg und Münster". Tonnenweise wurden lange vor dem Westberliner Schah-Besuch, der als Anlaß zur Provozierung von Krawallen wahrgenommen werden sollte, Agitprop-Material aus der DDR in die westdeutschen Hochschulen geschleust. In einschlägig geschulten Aktivs war man, in Zusammenarbeit mit westlichem "Sonderpersonal" (wie man es heute in Gestalt des Kölner Schriftstellers Günter Wallraff vor sich haben dürfte), ununterbrochen tätig, Demos und "Teach-ins" zu organisieren, "Semesterwoche für Semesterwoche" – der gelehrte Nürnberger Leserbriefschreiber weiß offenbar exakt, wovon er spricht.

So bleibt zu hoffen, daß zumindest ein deutscher Zeitgeschichtler den Schneid aufbringen wird, die machtgeschützten Nebel zu lichten, die bislang noch über SDS und APO, RAF und ÖKO, über Friedens-, Anti-AKW- und allerlei ähnlich dubiosen "Bewegungen" liegen. Naturgemäß wird es einem solchen Forscher nicht vergönnt sein, die Archive der Dienste des "verbündeten" westlichen Auslands benutzen zu dürfen; er wird sich, soweit überhaupt möglich, auf das Material der Dienststelle Gauck stützen müssen. Für den Forschungsgegenstand sicher ergiebig, wenngleich wohl kaum auskunftsfreudig, mag auch das Archiv des Hamburger Magazins Der Spiegel sein.

Es wird höchste Zeit, daß mit Mythen und Legenden aufgeräumt wird, wie sie dem Publikum derzeit "Gretchen", Dutschkes in die USA zurückgekehrte Witwe, in ihrem dickleibigen Machwerk unterjubelt. Die kompetent auf Quellen fundierte Deutung der tatsächlichen Zusammenhänge dieses verhängnisvollen Komplexes ost- wie westdeutscher Nachkriegsgeschichte ist ein historiographisches Desiderat erster Dringlichkeitsstufe. Auch hier fehlt die Antwort auf Fragen, die im Spezialpluralismus der Kohl-BRD keiner zu stellen wagt.

Abermals war es Günter Maschke, seinerzeit prominenter SDSler, vorbehalten, den Grund dieser einzigartigen Leerstelle im ansonsten so veröffentlichungsgeilen Betrieb auszusprechen; in einem Interview mit der junge freiheit spottete er über die neototalitären Anwandlungen der vormaligen Studi-Revoluzzer Schröder, Matthäus-Maier, Vogt, Cohn-Bendit, Ströbele, Schily, Fischer, Vollmer, Trittin e tutti quanti: "Das alles tendiert zu einem Wilhelminismus à la BRD: der Raum geistiger Freiheit ist nahezu verdampft."


 
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