© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/97  04. Juli 1997

 
 
Das Elend der Mindestrentner
Norbert Matzka

Solidarität und soziale Verantwortung werden in Österreich angeblich großgeschrieben. Vor allem wenn es um Fernstenliebe geht, sind Österreichs Medien rasch bei der Hand: "Nachbar in Not" beispielsweise hat erst unlängst Jubiläum gefeiert und konnte dabei stolz auf eine Milliardensumme verweisen, die ins Ausland gegangen ist. Wenn es sich um "Österreicher in Not" handelt, ist die Sache schon schwieriger. Trotzdem hat es um den vergangenen Jahreswechsel geradezu eine Medienkampagne zum Thema Armut in Österreich gegeben: Von der Armutsfalle seien sie bedroht: die Arbeitslosen, alleinerziehenden Mütter, Jugendlichen usw. Von der Altersarmut, jener zunehmenden Verarmung der Kriegs- und Wiederaufbau-Generation, die schleichend vonstatten geht, hat man kaum etwas gehört. Von der notwendigen Solidarität mit jener Generation der Österreicher, die den Krieg durchlitten und den Wiederaufbau des Landes geleistet hat, war auch nichts zu hören.

Alter im Dunkel - eine sozialwissenschaftliche Studie über Österreicher in Not - hat nun ergeben, daß von den geschätzten 600.000 Klein- und Mindestrentnern ein großer Teil von akuter Altersarmut bedroht ist. Nicht nur die 280.000 Ausgleichszulagen-Bezieher, sondern noch einmal gut dieselbe Anzahl müssen mit kaum 8.000 Schilling im Monat leben. Sie stehen in der Zeit des zweiten Sparpakets bzw. mangelnder Anpassung ihrer Pensionen an die Teuerung vor neuen Belastungen. Schon jetzt ist ein großer Teil von ihnen objektiv arm. Subjektiv jedoch ist es die große Bescheidenheit dieser Generation, ja geradezu ihre Bedürfnislosigkeit, die sie diese Armut noch gar nicht recht als solche empfinden läßt. Zwar ist heute schon ein Teil dieser Klein- und Mindestpensionisten sozial völlig isoliert und kann sich nicht den geringsten Luxus leisten. Bei weiteren Belastungen für diese Gruppe alter Österreicher wird aber die Schwelle zur auch subjektiv empfundenen Altersarmut breiter Massen überschritten werden.

In Zeiten, in denen Milliarden in die Integration von Ausländern, in die EU-Bürokratie von Brüssel und in Hilfsprojekte für das Ausland gesteckt werden, sollte man jene alten Österreicher in Not, jene Mitbürger im sozialen Abseits nicht vergessen. Die wirkliche soziale Lage der Betroffenen läßt sich nun nicht so sehr an nackten Einkommenszahlen ablesen, als vielmehr an einer atmosphärischen Stimmung, die diese Schwellensituation kennzeichnet. Waren diese österreichischen Klein- und Mindestpensionisten, die weitgehend der Kriegs- und Wiederaufbau-Generation angehören, bislang durch ihre persönliche Bedürfnislosigkeit, durch ihre Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit, durch eine gewisse altruistische Grundgesinnung eher geneigt, die Lage nach dem Motto "Es geht uns ja noch immer gut" zu beurteilen, so drohen nun die beiden Sparpakete und die damit auftretenden Belastungen einen dramatischen Stimmungswechsel einzuleiten. Immer mehr objektiv als arm zu bezeichnende alte Österreicher beginnen ihre Situation auch subjektiv als bedrängend zu empfinden.

Nun ist Armut ein sehr relativer Begriff. Wenn man die "alte" Armut mit Hunger, Durst und dem Mangel an Bekleidung und Behausung definierte, so sieht die "neue" Armut anders aus: Jetzt ist es der Mangel an Mobilität, das Nicht-leisten-können von Luxusgütern und das Unvermögen an der gesellschaftlichen Kommunikation teilzuhaben. Für eine Generation, die Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, Inflation, Krieg und Besatzung überstanden hat, die das Land aus den Trümmern mühsam wieder aufgebaut hat, mag materieller Mangel erträglich, weil wohlbekannt sein. Beschämend ist es aber, daß gerade die sozial Schwächsten aus dieser leidgeprüften Generation die ersten Opfer des heutigen Sozialabbaus sind. Dies nicht zuletzt deshalb, weil sie aufgrund ihrer Bescheidenheit keine politische Lobby haben und auch kaum über mediale Stimmen verfügen. Bezeichnend war es diesbezüglich, daß bei der in den in letzter Zeit laut gewordenen Debatte um die "Armutsfalle", die Lage aller möglichen Gruppen beleuchtet wurde. Die der Arbeitslosen, der Jugendlichen, derFrauen, der Zuwanderer, kaum aber die der Alten, die der Mindestpensionisten.

Wenn in Jahren, in denen es keine Pensionsanpassung an die Teuerungsrate gibt, für die Schwächsten der Kleinpensionisten ein Festbetrag ausbezahlt wird, der von vielen ohnehin nur als Almosen verstanden werden dürfte, ist dies keine Lösung des Problems, allenfalls eine Milderung. Die individuelle Lebenssituation der betroffenen Klein- und Mindestrentner ist ohnedies viel zu unterschiedlich, um sie durch ein mechanisches System von Beihilfen und Unterstützungen zu regeln. Jene etwa, die knapp über der Ausgleichszulagen-Grenze liegen, und die diversen Vergünstigungen von der ORF-Gebührenbefreiung bis zur Wohnbeihilfe nicht mehr genießen, sind automatisch erheblich schlechter gestellt. Ein individuelleres Eingehen auf die Lebensverhältnisse der objektiv armen Alten wird also vonnöten sein. Dies bedarf zumindest einmal der Bereitschaft, sich mit der Situation dieser Österreicher im Abseits zu beschäftigen. Es ist zuwenig alle heiligen Zeiten mediale Betroffenheit zu zeigen. Neben einer materiellen Mindestversorgung kann nur ein neubelebter und wirklich gelebter Generationenvertrag die Lösung sein, der signalisiert, daß das Los der Alten den Jüngeren nicht gleichgültig ist.

Neben den statistischen Daten hat die betreffende Umfrage eine Reihe individueller Aussagen erbrachte, die als dramatische Momentaufnahmen die bedrückende Situation dieser verarmenden Angehörigen der Kriegsgeneration zeigt. So schrieb ein Pensionist auf den Fragebogen: "Die Ausländer kriegen alles, Wohnung, Unterstützung, aber um uns Kleinpensionisten kümmert sich niemand". Und ein weiterer: "Mit einem Einkommen von rund 7.000 Schilling kann man hauptsächlich beim Essen sparen, und ich bin stolz, keine Schulden machen zu müssen". Ein anderer meinte: "Wir Alten haben den Ersten und Zweiten Weltkrieg durchgemacht und viele Entbehrungen durchgestanden. Wir haben immer viel gearbeitet, um etwas zu sparen. Und jetzt wird uns alles genommen".

Die freiheitlichen Senioren haben nun gemeinsam mit freiheitlichen Sozialpolitikern im Nationalrat und im Bundesrat eine Reihe von Vorschlägen zur Bekämfung der Altersarmut ausgearbeitet: Als erstes verlangen sie, daß das Thema Altersarmut überhaupt einmal ins Bewußtsein der Bevölkerung und der verantwortlichen Politiker gebracht wird. Danach sind sie der Meinung, daß eine jährliche Pensionsanpassung mit Fixbeträgen sicherstellen müsse, daß Altersarmut wirksam verhindert werde. Überdies verlangt man langfristig die Zusammenführung der verschiedenen Systeme der Alterssicherung auf ein einheitliches System mit dem Ziel von mehr Pensionsgerechtigkeit und einen Abbau der Bürokratie zugunsten höherer Leistungen. Auch müsse das unterschiedliche Penionsalter für Männer und Frauen zugunsten eines flexiblen Pensionsantrittsalters ab 55 Jahren abgeschafft werden.

Befreiungen und Beihilfen sollten so gestaffelt werden, daß auch Pensionisten, die knapp über den Befreiungsgrenzen liegen, begünstigt werden können. Überdies müßte es zu einer steuerrechtlich unbeschränkten Absetzbarkeit für private Rentenversicherungen kommen. Hilfe und Betreuung sollte primär in der eigenen Wohnung ambulant möglich sein, Alten- und Pflegeheime müßten in ausreichender Menge zu erschwingelichen Preisen zur Verfügung gestellt werden.

Insgesamt zeigt die Initiative des Österreichsichen Seniorenringes, daß man von freiheitlicher Seite nicht nur schöne Worte für den "kleinen Mann" im Hinblick auf Wählerstimmen übrig hat, sondern daß man wirklich sozialpolitisch initiativ werden will.


 
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