© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/97  04. Juli 1997

 
 
Für den Wandel in der Kontinuität
von Frank Lisson

Mit Edmund Burke starb am 9. Juli 1797 ein brillanter Denker und Politiker, der bis heute als "mißverständlich" und "umstritten" gilt. Dieses Urteil rührt daher, daß sich Burke in keines der bestehenden politischen Denkmodelle so recht einordnen läßt. Weil er liberales und konservatives Denken beinahe eklektisch miteinander verband - denn nur in dieser Kombination sah er die Stabilität des englischen Staates gewährleistet -, wurde seit jeher, vor allem außerhalb Englands, versucht, ihn sowohl für die eine als auch für die andere Seite politisch zu vereinnahmen. Dabei übersahen aber Liberale wie Konservative häufig, daß Burkes Denken und Wirken kein prinzipiell allgemeingültiges war, sondern sich in erster Linie streng an den politischen Verhältnissen und Traditionen Englands orientierte, weshalb es nicht so einfach auf die kontinentaleuropäischen Gegebenheiten übertragbar war.

Burke wurde am 12. Januar 1729 als Sohn eines protestantischen Anwalts und einer katholischen Mutter in Dublin geboren. Von seiner irischen und bürgerlichen Herkunft her keineswegs prädestiniert, zu einem der einflußreichsten politischen Autoren des 18. Jahrhunderts aufzusteigen, hatte Burke früh gelernt, sich auf der Bühne des politischen Meinungskampfes zu behaupten und sich der antiirischen Vorurteile zu erwehren. Obwohl er sich später immer als englischer Politiker fühlte, vergaß er seine Heimat nie. Stets hat er sich um die staatsbürgerliche Gleichstellung der irischen Katholiken bemüht und sich in mehreren seiner Schriften für irische Angelegenheiten eingesetzt.

Nach der Ausbildung zum Juristen, die er jedoch abbrach, widmete er sich der Schriftstellerei. 1756 kam es gleich zu zwei Veröffentlichungen, von denen die zweite ihn auch auf dem Kontinent bekannt machen sollte. War seine erste Schrift "A vindication of natural Society", eine philosophische Parodie, mißglückt, so gelang ihm doch mit der zweiten, "Philosophical Inquiry into the Origin of our Ideas on the Sublime and Beautiful", der Durchbruch. Diese Schrift, die auch als deutsche Übersetzung vorliegt, erfuhr eine große Rezeption durch die deutsche Klassik. Lessing und Kant, später auch Schiller, setzten sich mit ihr kritisch auseinander.

Schon in jenen frühen Schriften grenzte sich Burke deutlich von den damals populären Theorien Rousseaus ab. Dessen Ideen vom gesellschaftlichen Naturzustand bedeuteten für ihn Barbarei. Nur die institutionalisierte Gesellschaft unter Beibehaltung der alten Stände schuf nach Ansicht Burkes die Bedingungen für eine positive zivilisatorische Entwicklung. Erst in ihr konnten sich die zivilisationsprägenden Kräfte wie Kultur, Religion, Ökonomie und Politik entfalten.

Burke war jedoch nicht nur Verteidiger der etablierten Ordnung und ein überzeugter Verfechter des britischen Parlamentarismus, sondern zugleich auch leidenschaftlicher Reformer in der Tradition der Aufklärung. Er besaß eine umfassende Bildung, war mit den Theorien des Aristoteles und den Werken Ciceros vertraut und setzte sich in Anlehnung an Polybios und Montesquieu für die Mischverfassung und politische Gewaltenteilung ein. In seinen Reformvorschlägen vertrat er die politische Gleichstellung konfessioneller Minderheiten und machte sich für eine sensiblere Politik gegenüber den Kolonien sowie für eine parlamentarische Kontrolle der höfischen Entscheidungsprozesse stark, ohne jedoch jemals an dem monarchischem Prinzip Zweifel zu hegen. Diese Symbiose aus modernem Reformdenken und konservativer Verteidigung des Althergebrachten verunsichert seine Interpretatoren bis heute.

Burkes politische Karriere begann erst 1765, als er Privatsekretär des einflußreichen Premierministers des Marquess of Rockingham wurde, der ihn protegierte und fortan an die Fraktion der Whigs band. Die Verhältnisse in Frankreich beobachtend, nahm Burke vehement zunehmend konservativere Positionen ein und veröffentlichte 1790 sein bis heute berühmtestes Werk, die "Reflections on the Revolution in France", das bereits wenig später als "Betrachtung über die Französische Revolution" ins Deutsche übersetzt wurde. Von da an konsolidierte er sich im rechten Flügel der Whigs, der sogenannten "Old Whigs".

In den "Betrachtungen" verteidigte er den Verfassungskompromiß, der "Glorreichen Revolution" von 1688/89 mit seiner institutionellen Gewaltenteilung zwischen König, Oberhaus und Unterhaus gegen die radikaldemokratischen Ideen der Französischen Revolution. Nach Burke weisen beide Revolutionen keinerlei Verwandtschaft auf, da die Französische im Gegensatz zur Englischen die alten staatlichen Institutionen zerstört habe. Diese seien aber wichtig für die Entwicklung eines staatsbürgerlichen Bewußtseins, welches sich nur in Einklang zu ihnen bilden könne. Denn die historisch gewachsenen Institutionen müßten als Bindeglied zwischen Bürger und Staat als ein unter göttlich gegebenen Rangordnungen gewachsenes Gebilde mit historischer Kontinuität, das aber nicht in Unveränderbarkeit erstarren dürfe. Burke erkannte sehr wohl, wie wichtig es sei, daß ein Staat innerlich bewegungsfähig blieb - gerade weil er einem ständigen Wachstumsprozeß unterlag. Darum sei jeder Staat allein über evolutionäre, das heißt rational geplante Prozesse reformierbar. Alles Revolutionäre und Nivellierende trüge dagegen den Beigeschmack des Barbarischen, weil es das Kontinuierliche zerstöre. So sprach sich Burke vehement für den Schutz des Eigentums aus und verurteilte die französischen Konfiskationen als Ausdruck der Tyrannis.

Burke ging in seinem durch Aufklärung und Klassizismus geprägtem Denken von einer "vernünftigen" Emotionalität aus, die sich in einem gesunden, planvollen Selbsterhaltungstrieb und dem Streben nach Gemeinwohl unter den Menschen äußern sollte. Prämissen allerdings, deren Gegebenheit er am Ende selbst bezweifelte.


 
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