© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/97  04. Juli 1997

 
 
Kokain, Chaos, Korruption
von Annegret Reelitz

Jahr für Jahr werden zur Zeit im Rauschgifthandel weltweit 400 Mil-
liarden Dollar umgesetzt. Damit macht dieses Geschäft rund acht Prozent des Welthandels aus. Zu diesen deprimierenden Erkenntnissen kommt der am Donnerstag letzter Woche verabschiedete erste "Drogen-Weltbericht" der Wiener Drogenkontrollprogramm-Behörde der UNO (UNDCP).

Deren Schätzungen zufolge konsumieren vier Prozent der Weltbevölkerung Rauschgifte, wobei das Durchschnittsalter immer weiter absinkt und seit Mitte der 80er Jahre insbesondere die synthetischen Drogen (Ecstasy usw.) einen starken Aufschwung nehmen. Was die Herkunftsgebiete betrifft, so hat sich in den zurückliegenden Jahren laut Drogen-Weltbericht nur wenig verändert: Opiate stammen vor allem aus dem "Goldenen Halbmond" (Afghanistan, Iran und Pakistan) sowie aus dem "Goldenen Dreieck" (Thailand, Laos, Myanmar). 98 Prozent des gehandelten Kokains wird noch immer in den südamerikanischen Staaten Kolumbien, Peru und Bolivien erzeugt.

Bereits 1990 hatten sich im kolumbianischen Cartagena die Staatsoberhäupter dieser Staaten mit US-Präsident Bush zu einem ersten amerikanischen Drogen-"Krisengipfel" getroffen. Der französische Lateinamerika-Experte Alain Touraine gab schon damals zu bedenken: "Der Drogenhandel ist ganz offensichtlich ein mögliches Modell für den Gesellschaftsaufbau. Ich würde sagen, daß er in Lateinamerika das Symbol für den totalen Erfolg des Liberalismus ist:

1. niedrige Produktionskosten,

2. ein solider, expandierender Markt,

3. eine starke Konzentration auf straff geführte Unternehmen, die sich Kartelle nennen." - "Natürlich ist dies", so fuhr Touraine fort, "eine Karikatur des Liberalismus, aber sie zeigt ganz klar, daß hier eine politische und soziale Kontrolle einsetzen muß."

Das äußerst lukrative Drogengeschäft wird ausschließlich von der Nachfrage diktiert, wobei es eigenartigerweise völlig egal ist, ob die Bosse der jeweiligen Kartelle hinter Gittern sitzen oder nicht. Anbau-Schwierigkeiten wie in Peru infolge von massiven Ausräucher-Aktionen von Plantagen oder Pilzbefall haben im Hinblick auf das Angebots- und Preisniveau ebensowenig zu Buche geschlagen wie zwischenzeitliche Produktionseinbrüche in anderen Ländern. In den Andenstaaten hat sich die Gesamterntemenge der Koka-Blätter zwischen 1985 und 1994 sogar verdoppelt. Die Milliarden-Reichtümer, die dabei angehäuft werden, können schon heute ganze Volkswirtschaften im Sinne der "Narcos" manipulieren bzw. die Drogen-Barone in kürzester Zeit in die Reihen der beherrschenden Finanzgruppen eines Landes hochkatapultieren. Das besondere daran ist allerdings, wie der kolumbianische Journalist Rafael Pardo feststellte, daß die Drogen-"Unternehmen" nicht versuchen, sich in die vorgegebene Gesellschaftsstruktur einzufügen und deren Regeln zu akzeptieren, sondern genau umgekehrt verfahren: Sie wollen die Gesellschaft ihren eigenen Notwendigkeiten anpassen.

In Peru, Bolivien, Kolumbien und Mexiko ist die Konzentration von landwirtschaftlichen Nutzflächen in den Händen der Drogen-Mafia riesig. Das bedeutet unter anderem auch, daß die sozialistischen Bodenreformen der 30er Jahre, die das Ziel hatten, den Großgrundbesitz zu zerschlagen und so breite Schichten der Bevölkerung an die selbstverantwortliche Bauernarbeit heranzuführen, um so die Basis für einen modernen, demokratisch regierbaren Staat zu schaffen bzw. zu verfestigen, faktisch rückgängig gemacht werden.

Den Bauern bleiben nicht viele Alternativen, und so leben heute in einem traditionell agrarwirtschaftlich strukturierten Land wie Kolumbien 80 Prozent der Bevölkerung in den Städten. Doch die dortige Industrie ist nicht ausreichend weit entwickelt, um die Massen an - zumeist ungebildeten - Landflüchtigen in den Arbeitsprozeß zu integrieren. Die Folgen hat Geheimdienstkoordinator Schmidbauer im Dezember 1996 vor dem deutschen Bundestag wie folgt aufgelistet: "Viele Regionen Kolumbiens, wahrscheinlich mehr als die Hälfte der 33 Departements, sind in den Händen der verschiedenen Guerillas. Das bedeutet, ca. 300.000 - 400.000 Koka-Anbauer müssen dorthin ihre Schutzgelder abführen. Die größte Guerilla-Organisation, die Farc, wird heute als das zweitgrößte Drogen-Kartell des Landes betrachtet."

Das Problem der Drogenkriminalität ist auch deshalb so schwer in den Griff zu bekommen, weil es sich ständig wandelt. Medellin, das berüchtigte Zentrum der Drogen-Mafia Kolumbiens, am 29. Januar 1997: Vor einem Gebäude der paramilitärischen Verbände explodiert eine Autobombe; fünf Menschen sterben bei dem Anschlag, für den die "Farc" verantwortlich gemacht wird. Gerade erst hatte man mit Pablo Escobar der Hydra Drogen-Mafia einen Kopf abgeschlagen, schon wachsen ihm neue, noch größere Häupter nach.

Es gibt keinen großen Reichtum, der nicht nach Einflußnahme, nach politischer Macht strebt. In Kolumbien, das in dieser Beziehung etwas weiter ist als Mexiko, konnten die Kartelle bereits beachtliche Erfolge verzeichnen: so zum Beispiel den sieben Jahre währenden Widerstand gegen Auslieferungsforderungen der übermächtigen USA, mehrere Amnestien (die letzte 1995) und offene oder verdeckte Begnadigungen.

Andererseits bieten sich gerade die kriminellen Vereinigungen der Drogen-Mafia oft als einzige Arbeitgeber für junge Leute an. Sie geben ihnen Essen, ein Dach über dem Kopf, Beschäftigung (viel Fußball!), Sex und Suff.

Was ist zu tun? Rufe nach der Polizei haben in Lateinamerika oftmals wenig Sinn. Sofern es die Ordnungskräfte überhaupt in nennenswertem Umfang gibt, sind sie vielfach korrumpiert bzw. logistisch überhaupt nicht in der Lage, die schwierige Aufgabe der Bekämpfung der Drogen-Mafia durchzuführen. In Mexiko kursiert gar die Empfehlung: "Wenn du überfallen wirst, dann schreie nicht, sonst kommt die Polizei auch noch!"

Und was ist mit härteren Strafen? Nun, die Weltbank hat zum Thema Rechtsprechung in Lateinamerika jüngst in Rio einen einschlägigen Bericht vorgelegt. Dort heißt es unter anderem: "Im allgemeinen leidet die Rechtsprechung - sowohl im zivilen als auch im strafrechtlichen Bereich - in den meisten Ländern der Region unter hoher Ineffizienz, Verfahrensverzögerungen und den daraus resultierenden hohen Kosten, Undurchsichtigkeit, weitverbreiteter Korruption (-) sowie in verschiedenen Fällen dem Eingreifen des Staates in die richterlichen Entscheidungen."

Überall in Lateinamerika bleiben bei steigender Kriminalität Taten unbestraft, wächst die Angst in der Bevölkerung diametral zur Abnahme der Investitionsbereitschaft einheimischer wie ausländischer Unternehmen. Aber es kann auch passieren, wie aus Kolumbien bekanntgeworden, daß Richter trotz schlechter Bezahlung und entwürdigenden Arbeitsbedingungen zäh um die Unabhängigkeit der Gerichte ringen und dann schlicht abgeknallt werden - 290 innerhalb der letzten acht Jahre.

Es hapert an allem: Die Gesetze sind veraltet und dringend reformbedürftig, Richterstellen werden häufig nach dem Parteibuch vergeben, und last but not least existiert das Dauerhindernis exzessiver Bürokratien. Was nützt es, wenn ein Kriminalbeamter mit Erfolg monatelang an einem Fall arbeitet, wenn das Gericht dann zehn Jahre benötigt, um ein Urteil zu sprechen?


 
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