© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/97  04. Juli 1997

 
 
"Klassische Guerillaaktionen"
von Peter Boßdorf

Masud Barsani ist nicht zu beneiden. Zum zweiten Mal binnen eines Jahres sah sich der Führer der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP), die den größten Teil der autonomen Region im Norden des Irak "kontrolliert", veranlaßt, mit deklarierten Feinden der kurdischen Sache zusammenzuarbeiten, mit Feinden zudem, die es auch am Willen zum Genozid nicht mangeln lassen. Im vergangenen Jahr rief er Saddam Husseins Truppen zu Hilfe, um den Vormarsch der vom Iran unterstützten Patriotischen Union Kurdistans (PUK) seines Gegenspielers Dschalal Talabani zu stoppen. Vor wenigen Wochen nun ließ er sich darauf ein, mit den Türken gemeinsame Sache gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu machen. Den Nimbus seines Vaters Mulla Mustafa dürfte er damit wohl aufgezehrt haben.

In den Reaktionen des Westens mischen sich Zynismus und Erleichterung: Das Experiment kurdischer Autonomie sei also gescheitert, atmet man auf, die Kurden seien ja nicht einmal in einem solch bescheidenen Rahmen imstande, halbwegs stabile Verhältnisse zu schaffen. Wer dies so darstellt, übersieht aber, daß Irakisch-Kurdistan seit Jahren in einem Schwebezustand lebt: in seinem Status von Bagdad nicht anerkannt und von der amerikanischen Garantiemacht im Unklaren über deren weitere Absichten gehalten. Daß auf dieser wackeligen Basis (phasenweise) dennoch so viel geleistet wurde, zeugt von der Bereitschaft der kurdischen Führer, Sisyphus-Arbeiten anzunehmen, und von ihrer verzweifelten Hoffnung, nach Jahrzehnten des Krieges und der Zerrüttung den Wiederaufbau ihres Landes betreiben zu dürfen.

Die Auseinandersetzungen zwischen der KDP und der PKK wiederum sind nur vor dem Hintergrund der Mächtekonstellation in dieser Region zu verstehen. Kurdische Politik ist unverändert allein so vorstellbar, daß sie dort bestehende Gegensätze zu nutzen versucht und sich an eine Seite anlehnt. Diese pflegt ihr dann jedoch auch Loyalitätspflichten aufzuerlegen, die mit den Interessen der geteilten Nation kaum in Einklang zu bringen sind.

Die Kurden sind nicht Herr im eigenen Haus, niemand kann ihnen vorwerfen, daß sie sich nicht wie ein solcher verhalten. Auch wenn die KDP die Türkei nicht zum Einmarsch eingeladen hat - eine entsprechende Behauptung Ankaras hat Barsani dementiert - konnte sie der Operation nicht in den Arm fallen, weder militärisch noch "diplomatisch". Die autonome Region kann nur via die Türkei versorgt werden. In diese fließen wiederum die Erdölexporte des Iraks, die durch kurdisches Gebiet geleitet werden. Ohne das Wohlwollen Ankaras ist Irakisch-Kurdistan wirtschaftlich nicht überlebensfähig, was Barsani bei den türkischen Invasionen der Jahre 1992 und 1995 allerdings nicht hinderte, der PKK ohne großes Aufsehen den Rückzug zu erleichtern. So war es wohl stillschweigend Usus, Öcalans Kämpfer, die vor den türkischen Truppen auswichen, eine neue KDP-Legende zu verschaffen oder sie unter Mitnahme aller Waffen nach Syrien abzuschieben. Mußte die PKK zwar jedesmal ihre Operationsbasen an der irakisch-türkischen Grenze räumen, so konnte sie doch dank dieser Politik Barsanis immerhin die Verluste an Menschen und Material eindämmen.

Diesmal ist sie, ohne daß sie darauf vorbereitet war, vor eine neue Lage gestellt: Die KDP entwaffnet die PKK-Kämpfer, die sich ihr ergaben und schiebt sie nicht nach Syrien ab, sondern überstellt sie dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz. Widerstand wird von Barsanis Pershmerga mit Gewalt gebrochen. So scheint es glaubwürdig zu sein, daß die größten Verluste der PKK nicht von Kampfhandlungen mit der türkischen Armee herrühren, sondern von Scharmützeln mit der KDP, vor allem, aber nicht nur in Erbil.

Der Wandel in Barsanis Politik ist zum einen auf türkischen und vor allem amerikanischen Druck zurückzuführen. Im Gegensatz zu den vergangenen Invasionen findet diese nicht mehr bloß unter Kenntnisnahme und Billigung der USA statt. Die Türkei scheint vielmehr von Washington ersucht worden zu sein, in dieser für die NATO so sensiblen Region für eine nachhaltige Befriedung zu sorgen. Neben dem pragmatischen Zweck, einen besseren Schutz von NATO-Einrichtungen in der Ost-Türkei zu gewährleisten, und dem innenpolitischen Motiv, die kurdische Frage militärisch zu lösen, ist die Organisation auch in dem Kontext zu sehen, daß Ankara sich als der amerikanische "Stabilitätspartner" im Nahen Osten zu bewähren hat. Dies alles läßt es nicht länger zu, daß ein Masud Barsani den neuerlichen "Vernichtungsschlag" gegen die PKK unterläuft.

Es gibt aber auch noch andere Gründe, die der KDP ihren Sinneswandel zumindest nicht so schwer fallen ließen: Die PKK hat gemeint, in Irakisch-Kurdistan in einer Weise schalten und walten zu können, die für Barsani nicht zu tolerieren war. Die Liste der Vorwürfe, die in Erbil an Öcalan gerichtet werden, ist lang: Sie reicht von Anwerbeversuchen unter irakischen Kurden über die Vertreibung von Bauern aus Dörfern, die die Guerilla als Basen für sich nutzen wollte, bis hin zu der Behauptung, unter PKK-Zgide sei im großen Stil Cannabis angebaut worden. Das Faß zum šberlaufen brachte aber die Ausrufung einer "Republik" im Zab-Tal, sozusagen eine "Sezession", die zeigte, daß sich die PKK auch hoheitliche Rechte anmaßte - in einem Gebiet, das die KDP für sich reklamierte. Ob dieser Tabubruch tatsächlich die Befürchtung auslöste, die PKK könnte nach der Macht in ganz Irakisch-Kurdistan streben, sei dahingestellt - die Zeit, Öcalan eine Lektion zu erteilen, schien jedenfalls gekommen.

Diese Lektion spürt die PKK, allerdings ohne daß sie darüber zusammenbräche. Schon jetzt läßt sich festhalten, daß die türkische Invasion ihr großspurig verkündetes Ziel, Öcalan ein für alle Male in die Knie zu zwingen, verfehlt hat. Auch die mit mindestens 50.000, vielleicht sogar 70.000 Soldaten größte Militäroperation der jüngsten türkischen Geschichte war dazu nicht in der Lage. Beide Seiten haben dabei neue Waffen zum Einsatz gebracht: Die Türken sind erstmals dank israelischer Rüstungshilfe in der Lage, auch aus der Luft Ziele in tief eingeschnittenen Gebirgstälern zu bekämpfen. Die PKK wiederum verfügt über Luftabwehrwaffen, mit denen sie die Möglichkeiten des Feindes, die Infanterie mit Hubschraubern zu unterstützen, massiv einschränkt. "Der nächste Schritt", verkündet Öcalan, "wird bestimmt sein von klassischen Guerillaaktionen." Verkleinerung der Einheiten, um ihre Zahl zu vergrößern und flächendeckend auftreten zu können, Ausweitung der
Nachtaktionen und vor allem Angriffe auf türkischem Staatsgebiet selbst, auf Ziele, die nun, da die Besatzungen größtenteils im Irak eingesetzt werden, weitgehend entblößt sind: Dies ist noch nicht das Vietnam-Szenario, das Öcalan, auch an die amerikanische Adresse gerichtet, an die Wand malt, aber es skizziert doch eine Strategie, die gute Aussicht hat, die Gegenseite zu zermürben. "Es ist leicht, in Südkurdistan einzumarschieren, aber schwer, wieder herauszukommen", faßte Öcalan salopp zusammen, was den Türken drohen könnte. Möglicherweise beabsichtigen diese aber gar nicht, Südkurdistan zu verlassen, es erscheint vielmehr denkbar, daß sie, dem israelischen Beispiel im Südlibanon folgend, eine "Schutzzone" errichten, in der sie ein auf strategisch wichtige Punkte konzentriertes Kontingent von vielleicht 10.000 Mann belassen. Öcalan dürfte dies, da ihm neue Angriffsziele geschafffen werden, weniger schrecken als Barsani. Dieser könnte auf die Idee verfallen, sich nach neuen Allianzen umzusehen, sich vielleicht sogar einer als Möglichkeit aufscheinenden Achse zwischen Teheran, Bagdad und Damaskus (und damit bis hin nach Beirut) anzudienen. Er scheint sich die Hintertür zu einer Wieder-Annäherung an Öcalan offenzuhalten, und dies könnte ein Indiz dafür sein, daß er der türkisch-amerikanischen Umklammerung zu entkommen sucht. Auch um diese Entscheidung ist er aber nicht zu beneiden.


 
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