© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/97  27. Juni 1997

 
 
Amsterdam: Die EU-Einigkeit ist am Ende
Tückisches Derivat
Meinungsbeitrag
von Jahanna Christina Grund

Es hätte alles noch viel schlimmer kommen können in Amsterdam für jene
Millionen Menschen in Europa, die künftig mit dem Abkömmling der EU von Maastricht leben sollen.

Der erbitterte Streit der Regierungschefs bis tief in die Nacht hinein um nationale Kompetenzen und Souveränitätstransfer offenbart in Wirklichkeit, wie tief die Risse im Gefüge dieser fünfzehnköpfigen Union schon jetzt ausgreifen, ehe überhaupt eine neue Erweiterung des Kolosses begonnen hat, und wie weit der Umkehrprozeß von supranationalen auf eigenstaatliche Denkmodelle schon gediehen ist. Der damit ausgelöste Dissens im Geiste wird in den nächsten Jahren, befördert durch Sozialkrisen, ungeahnte Zentrifugalkräfte freisetzen. Die scheinbare Einigung auf Minimalkompromisse mit zahlreichen Nischen des "ohne mich" für mutige Querulanten unter den Fünfzehn erst im Morgengrauen des 18. Juni spricht für sich. Einige der grauslichen Gespenster aus den Wochen vor dem Gipfel im institutionellen und militärischen Bereich, in der Innen- und Justizpolitik wurden wieder in den Kasten gesperrt, zumindest bis 2004.

Viel düsterer ist es nach Amsterdam um den Schilling bestellt. Hier sind die politischen Fanatiker der Maastricht-Ära offensichtlich bereits jenen Geistern hörig, die sie mit der trügerischen Propaganda für einen "harten Euro druch Stabilität und Wachstum" schufen. Alle Indikatioren der Vernunft sprechen dagegen. Aber sie ziehen ihren Wahnsinn um jeden Preis durch. In dieser Hinsicht verlief der Beginn des Gipfels nämlich viel interessanter als alles, was danach kam. Lionel Jospin sowie die österreichischen und skandinavischen Fürsprecher erhielten ihre gewünschte Resolution für Beschäftigung als Pendant zum monetären Disziplinierungs- und Bestrafungspakt der "Euro-Zonen"-Länder.

Nur wird dieses Protokoll, das schon kurz nach Bekanntwerden von der sozialistischen Koalition in Frankreich wegen Unzulänglichkeit bekämpft wurde, keinen einzigen neuen Arbeitsplatz schaffen. Alle wohlklingenden Absichten dürften an den durch Binnenmarkt und Konvergenzhysterie geschaffenen Strukturen scheitern.

Sämtliche guten Vorhaben sollen ja kein Geld kosten, nicht zu höheren Zahlungen nach Brüssel führen. Immerhin ist die Sache keinesfalls so harmlos, wie sei scheint. Der Teufel steckt in den "Pilotprojekten", die die EIB (Europäische Investitionsbank) über Schuldverschreibungen in "Euro" (wer bürgt dafür?) finanzieren soll und in der
Wechselkurspolitik der künftigen "Euro–Zone" gegenüber Drittländern. Hier entsteht rudimentär jene "Wirtschaftsregierung", die als Hebel zur Gängelung der Europäischen Zentralbank (EZB) im Sinne einer stabilitätswidrigen Geldpolitik benutzt werden kann.

Das Monopolygeld "Euro" aufzuhalten, geht heute nur noch durch eine Art Volksaufstand dagegen bis hin zum Generalstreik oder durch Stopplichter von Verfassungsgerichten. Tatsächlich wären heftige Turbulenzen auf den Kapitalmärkten die Folge mit Katastrophen für Spekulanten. Aber lieber sollen jetzt die Spekulanten leiden als später die zum "Euro" verdammten Völker.

Beim ersten der fünf Kapitel des Amsterdamer Vertrages wird der Unsinn von Schengen ohne Großbritannien, Irland und Dänemark "vergemeinschaftet". Auch begibt sich die Union auf das Eis einer gemeinsamen Ausländerpolitik mit Rechtssetzung des EuGH und Verordnungs- oder Richtlinienkompetenz der Kommission, allerdings noch mit Vetorecht im Asylwesen, in der Kontrolle der "Außen"grenzen, in der Visa- und Zollpolitik. Die Europol, das Strafrecht und die Drogenbekämfung bleiben nationalen Gesetzen unterworfen.

Die angestrebte Schwächung des Vetorechtes im Ministerrat ist nur teilweise gelungen. Staats– und Völkerrechtler werden die heiklen Punkte hier genau auf Verfassungsvereinbarkeit untersuchen müssen. Ehe der Vertrag in Kraft treten kann, müssen in einigen Ländern sogar neue Volksabstimmungen stattfinden. Reicht in Österreich die Ratifikation durch den mehrheitlichen EU-begeisterten Nationalrat?

Immerhin setzte Österreich sein Einspruchsrecht beim Wasserstreit durch und kann auch höhere Umweltstandards einführen, falls die Kommission nicht binnen sechs Monaten widerspricht. Trotzdem wird die EU als Geschöpf von Amsterdam bei der Mehrheit der Bürger ebenso verhaßt bleiben wie ihr Maastrichter Vorgänger. Das Kapitel zwei "Die Union und die Bürger" strotzt von Absichten ohne Fundament.

Das Sozialprotokoll setzt zwar Mindeststandards, aber schützt keinen Arbeitnehmer vor Entlassung wegen dieser Mindeststandards. Die Überführung der WEU in die EU ist vertagt. Für militärisch Hilfsunwillige gibt es ein "ohne mich", und das Kapitel vier "Institutionen der EU" verschiebt die neue Stimmengewichtung im Ministerrat auf einen späteren Zeitpunkt. So bleibt es dem Ayatollah der Jubelperser für die Union, dem bundesdeutschen Kanzler Kohl vorbehalten, den Gipfel von Amsterdam laut dpa als "außerordentlichen Erfolg" zu preisen, der "Europa weiterführen" werde. Es fragt sich nur wohin.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen