© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/97  27. Juni 1997

 
 
Wiener Herrengasse: Museum für die Protestanten
Eine alte Schuld einlösen
von Andreas Mölzer

Zweifellos ist es eine historische Stätte. Das niederösterreichische Landhaus in der Wiener Herrengasse: Im März 1848 hat hier die Deutsche Bürgerliche Revolution begonnen. Im Herbst des Jahres 1918 wurde hier vor den Gründungsrepräsentanten der Republik Deutsch–Österreich für den Anschluß an Deutschland demonstriert. Über Jahrhunderte haben die adeligen, niederösterreichischen Landstände hier getagt, bis vor kurzem der demokratisch gewählte niederösterreichische Landtag. Nun ist dieser samt Landesregierung nach St. Pölten abgezogen. Die Frage, was geschieht mit den historischen Baulichkeiten, steht im Raum. Mit gutem Grund hat sich die Evangelische Kirche Österreichs um die Gebäude beworben, um hier ein Museum zu errichten. Paul Weiland, Pressepfarrer der österreichischen Protestanten, meint, es gäbe so etwas wie eine "Verpflichtung der Republik Österreich", die evangelische Geschichte des Landes zurück in das Bewußtsein der Bevölkerung zu rücken. In der Tat hat das niederösterreichische Landhaus mit der protestantischen Geschichte des Landes zu tun: In der Landhauskapelle wurde der erste evangelische Gottesdienst gelesen, und die Reliegionstüre mit ihren beiden Türgriffen, einen für die protestantischen und einen für die katholischen Landstände, erinnert an den Kampf der Konfessionen.

Kaum 200 Jahre ist es her, daß Österreichs Lutheraner Religionsfreiheit genießen. Dabei waren sie in den Jahrzehnten nach der Reformation in weiten Landstrichen die weitaus überwiegende Mehrheit. Rund drei Viertel der Bewohner des heutigen Österreichs, auch der Großteil des Adels, waren zum Lutheranertum übergewechselt. Die Gegenreformation brachte bekanntlich gnadenlose Verfolgung, und jene, die nicht wieder "gutkatholisch" gemacht wurden – zumeist mit mehr oder weniger Gewalt – mußten in den Untergrund gehen. Verfolgung, Vermögensverlust, Vertreibung waren das Schicksal der heimischen Protestanten, die sich nur mehr in Rückzugsgebieten, wie Oberkärnten oder dem steirischen Ennstal zu halten vermochten. Die Salzburger Protestanten wurden nach Ostpreußen vertrieben, viele Steirer und Kärntner wanderten bis in die Zeit Maria Theresias nach Siebenbürgen, in die Ungarische Reichshälfte aus, weil es dort Religionsfreiheit gab. Im Burgenland, im ehemaligen Deutschwestungarn konnten sie sich kontinuierlich behaupten.

Nicht zuletzt für diese Vermögensverluste und als Wiedergutmachung für dieses schwere Unrecht wäre es nunmehr an der Zeit, so etwas wie Vergangenheitsbewältigung gegenüber Österreichs Protestanten zu betreiben. Das von ihnen für die Wiener Herrengasse erwünschte Museum böte eine Möglichkeit dazu. Gespräche mit den politisch Verantwortlichen von Bund und Land sind längst geführt. Von allen Seiten gibt es prinzipiell freundliche Zustimmung. Allerdings sind die hohen Kosten für die Errichtung und Ausstattung dieses Museums längst nicht gedeckt. Wenn im Lande zunehmend Moscheen für zuwandernde Moslems errichtet werden, wäre es sehr angebracht, eine historisch in Österreich ansässige Konfession wie das evangelische Christentum mit einer entsprechenden musealen Gedenkstätte zu bedenken.


 
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