© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/97  20. Juni 1997

 
 
Gründerzeit
Kommentar
von Hans-Peter Rissmann

Wie die JF vor wenigen Wochen schrieb: Es hat Deutschland und vor allem seine politisch interessierten Bürger eine fiebrige Stimmung erfaßt. Es ist Gründerzeit in Deutschland. Unzufriedene Bauern wollten der Regierungsspitze in München anläßlich der Feierlichkeiten zu Ehren Sebastian Kneipps ans Leder. Ein Landwirt aus Mitteldeutschland drohte an, Bundestagsabgeordnete zu entführen, weil er mit den materiellen Verhältnissen nicht mehr zufrieden ist.

Facharbeiter, Mittelständler, Christen, Vertriebene - in jeder Region finden sich plätzlich unabhängig voneinander Menschen zusammen und gründen Parteien. Hier eine Mittelstandspartei, dort eine Partei für die Rechte der Vertriebenen. Es sind Verzweiflungstaten aufrechter Bürger, die keinen anderen Ausweg mehr wissen aus der Misere der aktuellen Politik, als den mühseligen Weg einer Partei-Neugründung zu beschreiten. Die optimistische Gründungsbegeisterung kann man nur bewundern und Achtung haben vor dem aufopferungsbereiten Mut, ein 80-Millionen-Volk mit einer Organisation von ein paar Dutzend bis wenigen hundert Mitgliedern überzeugen zu wollen.Doch die Verfassung will es so. Wenn die Parteien, die bislang Abgeordnete in den Parlamenten stellten, offenbar nicht mehr zufriedenstellend die Interessen der Bürger, des Volkes vertreten, dann kommen neue. Die Marktäffnung wird doch allseits auf dem wirtschaftlichen Sektor als für die äkonomische Entwicklung belebend gepriesen. Umso mehr muß doch Konkurrenz das politische Geschäft ungemein beleben.

Also ist es ausdrücklich zu begrüßen, wenn in Deutschland die Karten politisch neu gemischt werden. Dazu leisten kleine Parteien ihren Beitrag. Werden auch viele - sagen wir realistischer 99 Prozent - der Parteigründungen wie Primeln wieder eingehen; sie sind dennoch Katalysatoren einer Entwicklung, die sie beschleunigen, keinesfalls behindern! Sie sind Ausdruck der Aufläsungserscheinung der traditionellen Parteienformationen in Deutschland und der Vorstufe einer neuen parteipolitischen Ordnung.

Welche Formation sich letztlich durchsetzen wird, entscheidet der Wähler. Es ist wenig ratsam, Parteipolitikern Ratschläge zu erteilen, ihre Organsiationen aufzuläsen. Sie sind in ihren Namen und in ihre Vision verliebt und glauben nur ihr Konzept verspreche Erfolg. Vermutlich werden sie fast alle nicht einmal 0,1 Prozent erreichen. Vielmals 0,1 Prozent kännen aber einer Regierungspartei die Mehrheit kosten. Wünschenswert aus Sicht der Bürger ist aber eine starke, für Millionen wählbare Alternative, die 1998 den Unmut auch artikuliert.


 
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