© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/97  20. Juni 1997

 
 
Narrenhände
Kolumne
von Heinrich Lummer

Narrenhände beschmieren Tisch und Wände. So sagte man es früher dem Kinde, um Sauberkeit und Ordnung zu halten. Es war eine Abschreckungsstrategie. Schmierfinken wurden zu Narren erklärt. Und wer will das schon sein, außer in der Zeit des Karnevals?

Das Problem der bemalten Wände scheint also nicht ganz neu zu sein und schon vor dem Zeitalter der Graffiti bestanden zu haben. Heute heißt es mancherorts, Graffiti sei Ausdruck von Kunst, diene der Selbstverwirklichung und solle toleriert werden. Von Abschreckungsstrategie keine Spur. Vielmehr Verständnis für Schmierereien, gäußert von manchem Lehrer.

Geschmäcker sind eben verschieden wie die Menschen. Und doch läßt sich - von den üblichen Ausnahmen abgesehen - ein Common sense erkennen, der Wandmalereien schlicht und einfach als unangenehme Schmiererei empfindet und die Verursacher als Schmierfinken und Narren bezeichnet.

Wenn man sich umsieht, ob diese Art des Kulturverständnisses ebenfalls den Tendenzen der Globalisierung ausgesetzt ist, kann man zunächst feststellen: In Rom, Paris und London findet man dergleichen nicht oder doch in erstaunlich geringerem Ausmaße. Vielleicht sind diese Städte wirklich nicht auf der Hähe der Zeit, denn die Menschen scheinen dort immer noch der Meinung zu sein, Graffiti ist Schmiererei. Den Konservativen freut das natürlich. Denn eine Stadt ohne diese Art Kunst empfindet er als schöner, angenehmer und lebenswerter. Und ich denke, da steht er nicht allein. Wenn der muntere Wanderer die Straßen von Rom, Paris und London mit denen seines geliebten Berlins vergleicht, dann wird er ziemlich traurig. Schließlich mächte man seine Stadt als die schänste sehen. Aber das ist sie nicht. Sie ist die Hauptstadt der Schmierfinken und Narrenhände in Europa.

Wer aber was ändern will, muß die Menschen ändern. Dazu gehärt eine Erziehung, die Grenzen setzt. Dazu gehären Strafen, die als solche empfunden werden. Arbeit als Teil der Strafe würde sich als sehr nützlich erweisen. Dazu gehört ein gesellschaftlicher Konsens, der die Schmierereien ablehnt und sich auch in diesem Sinne artikuliert. So wie es früher Tabus gab, die mit dem lapidaren Satz begründet wurden: man tut das nicht. Wer es doch tut, wird ausgegrenzt. London und Paris zeigen, daß es geht. Berlin sollte sich nicht als Hauptstadt nach dem Motto bestätigen wollen, daß auch diese Schmierereien zu einer weltoffenen Stadt dazugehären. Offen für Dreck ist noch lange nicht weltoffen.


 
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