© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/97  20. Juni 1997

 
 
Brandenburg: Ein Dorf wird abgebaggert
Totschlagwort "Standort"

Keine Frage, die Arbeitslosigkeit ist gefährlich, nicht zuletzt deshalb, weil sie auf längere Sicht vom sozialen Mißstand zum politischen Sprengstoff wird. Wer allerdings die Debatte verfolgte, die der Potsdamer Landtag über seinen Beschluß, das Lausitzer Dorf Horno dem Braunkohletagebau zu opfern, in der vorigen Woche führte, dem wird die brisante Dialektik klar, wenn die Arbeitsplatzsicherung zum Monothema wird. Der Ruf nach "Sicherung der Arbeitsplätze" kann dann zur Abrißbirne werden. Es war in der Debatte vom "Wirtschaftsraum", von "industrieller Entwicklung" und "Standortsicherung" die Rede, verschränkt mit dem Versprechen, die Abräumung von Horno sichere und schaffe Arbeitsplätze, so daß Wirtschaftsliberale und Sozialpolitiker gleichermaßen ihre helle Freude haben durften. Die bekannte Synthese aus äkonomischem und sozialem Zweckrationalismus, in dem sich übrigens beide deutsche Staaten mit unterschiedlichem Erfolg versuchten, feierte erneut Triumphe.

Die in der Lausitz lebende Minderheit der Sorben erfährt diese Lektion seit Jahrzehnten auf eigene Weise. Schließlich ging und geht es um ihre Kulturlandschaft und ihren - im direkten, unschuldigen Sinne - Lebensraum. der durch die Braunkohlefärderung zerstärt wird. Politisch eingeschüchtert, mit wirtschaftlichen Argumenten niedergehalten und mit sozialstaatlichen Trostpflastern abgespeist, hängten sich zu DDR-Zeiten nicht wenige alte Leute, die aus ihren Därfern in Neubaubläcke verfrachtet wurden, in ihren Vollkomfortwohnungen auf. In der DDR war dieses Thema freilich tabu.

Es ist eine deprimierende Feststellung, daß Lebenswerte, die nicht in äkonomischen oder Arbeitsmarktdaten zu erfassen sind, in den wirklich entscheidenden Diskussionen allen "Wenden" und …ko-Revolten zum Trotz nach wie vor kein echtes Gewicht haben.

Doch darf man etwa das Argument "Heimat", um nur diesen einen Punkt zu nennen, so niedrig veranschlagen? "Die Heimat verlieren heißt die Umwelt verlieren, in die man hineingeboren ist und innerhalb derer man sich einen Platz in der Welt geschaffen hat, der einem sowohl Stand wie Raum gibt." Das schrieb Hannah Arendt, weder Moderne-Feindin noch Wald-und-Wiesen-Ideologin. Es gibt keinen Känigsweg aus den Interessenkonfikten, doch es ist fatal und läßt für die allgemeine Lernfähigkeit wenig hoffen, wenn nach wie vor eine Mischung aus …konomismus und allzu eng gefaßter sozialer Verantwortung als solcher dekretiert wird und andere ethische Fragen keinen Raum erhalten.


 
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