© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/97  13. Juni 1997

 
 
"Gruppe Energie 2010": Wissenschaftler setzen auf regenerative Energiequellen
Energiepolitik ohne Atomkraft
von Roland Heilmann

Die Auseinandersetzungen um den dritten Castor-Transport vor wenigen Monaten haben überdeutlich gemacht, daß ein Konsens über eine zukünftige Energiepolitik in der Bevölkerung nicht besteht. Dies zeigte sich auch bei den sogenannten Energiekonsensgesprächen. Es ist derzeit weder zwischen der Koalition und Opposition noch zwischen dem Bund und den Ländern eine Einigung möglich – jedenfalls nicht unter der Prämisse, daß die Atompolitik der Bundesregierung weitergeführt und bei der Zwischenlagerung fast ausschließlich die „Gorleben-Lösung" gewählt wird. Selbst wenn es in Bonn bei den Konsensgesprächen zu einer Kompromißlösung käme, so wäre damit noch lange nicht ein gesellschaftlicher Konsens über eine zukunftsweisenden Energiepolitik erreicht.

In einem kürzlich vorgelegten Memorandum hat nun eine Gruppe prominenter Wissenschaftler (siehe untenstehende Auflistung) einen öffentlichen energiepolitischen Diskurs sowie einen gesellschaftlichen Konsens eingefordert. „Die bisherigen Energiekonsensgespräche litten sehr stark darunter", so die „Gruppe Energie 2010", „daß in ihnen vor allem einzelne Energieträger gegeneinander ausgespielt, um die Weiterentwicklung der technischen Linie Kernenergie gefeilscht oder nur Einzelfragen wie Zwischen- und Endlagerung von Atommüll wie eine Scheinlösung diskutiert wurden." Eine echte Lösung des Entsorgungsproblems sei aber nur dann möglich, wenn klar sei, daß die Atomkraft „ein auslaufendes Modell ist, zu dem verbindliche Ausstiegszeiten vereinbart werden". Dies kann allerdings kaum das Ergebnis solcher Energiekonsensgespräche sein, sondern sei „in erster Linie eine politische Frage". Nur unter dieser Voraussetzung seien die „notwendigen energiepolitischen Richungsentscheidungen" umsetzbar und eine Beendigung der bisherigen Blockadepolitik gegen diese Solar- und Einspartechnologien denkbar. Der Ausstieg aus der Atomwirtschaft und konsequenten Einstieg in die „effiziente Energienutzung und -umwandlung sowie die Nutzung regenerativer Energiequellen" ist nach Ansicht der Unterzeichner bis spätestens zum Jahr 2010 möglich. Technische oder finanzielle Schwierigkeiten seien dabei weniger ein Hindernis als vielmehr das Problem der fehlenden Entscheidungsfreudigkeit der Politik. Denn effiziente Energienutzung und regenerative Energien seien als Eckpfeiler einer zukunftsorientierten Energiepolitik ausreichend. Das technische Potential der Energieeinsparung wird, bezogen auf den Primärenergieverbrauch des Jahres 1987 in den alten Bundesländern mit rund 35 bis 45 Prozent veranschlagt. Realistisch umsetzbar seien bis zum Jahr 2010 zwischen 16 und 23 Prozent. Jedoch reichen diese Einsparungspotentiale noch nicht aus, um zu einer klimaverträglichen Energieversorgung zu gelangen. Langfristig sei dies nur durch die verschiedenen erneuerbaren Energien erreichbar. Dazu sei jedoch der „sukzessive Aufbau von sich selbsttragenden Märkten" erforderlich. Möglich sei dies – wie die Windenergienutzung bereits gezeigt hat – durch staatlich unterstützte Nachfragesteigerung und daraus folgend durch eine Massenproduktion der Energieumwandlungstechnologien. Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Primärenergie könnte sich so von heute knapp zwei Prozent auf sieben im Jahr 2010 und schließlich auf etwa 21 Prozent im Jahr 2030 erhöhen. Angesichts der ungelösten Sicherheits-, Entsorgungs- und Gesundheitsrisiken durch die Atomenergienutzung sei eine Richtungsentscheidung gegen die Kernkraft „mehr als überfällig", so die Unterzeichner.


 
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