© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/97  13. Juni 1997

 
 
Staatspleite: Haushaltsposten, die für Bonn tabu sind
Milliarden ins Ausland
von Dieter Stein

Deutschland ist pleite. Die Bonner Koalition hat hoch gepokert. Nach dem Prinzip Hoffnung setzten Kohl, Waigel und Kinkel darauf, daß ein imaginärer Wirtschaftsaufschwung es schon richten werde. Doch der kam nicht. Und die Schuldenuhr ist kaum noch zu bremsen. Um die Kriterien der europäischen Währungsunion auf Teufel komm raus einhalten zu können, wird überall gespart. „Kein Etatposten ist tabu", verkündete deshalb Finanzjongleur Waigel vollmundig, der in Panik vom Sozial- bis zum Wehretat alles durchforstet, um Mittel zu kürzen.
Kein Etat ist tabu? Doch! Schweigen wir von den gigantischen Zahlungen an Parteien und Stiftungen. Reden wir lieber von der Zahlungen an das Ausland:
- EU-Haushalt: Bereits im ersten Quartal dieses Jahres hat Deutschland 6,09 Milliarden Mark netto an die EU überwiesen – fast doppelt soviel wie im gleichen Zeitraum 1996. Zum Vergleich: 1994 zahlte Deutschland netto 27,6 Milliarden Mark, während Großbritannien netto 4,2 Milliarden und Frankreich lediglich 1,6 Milliarden abführte. Bonn zahlt netto und ohne mit der Wimper zu zucken allein 61,7 Prozent des EU-Haushaltes (Stand 1994). Von 1990 bis 1995 summierten sich die Bonner Netto-Zahlungen an die EU auf 148 Milliarden Mark.
- Seit der Wiedervereinigung sind an die mittel- und osteuropäischen Staaten sage und schreibe 159,3 Milliarden Mark geflossen. Nach einer Übersicht des Bundesfinanzministeriums erhöhten sich die Hilfen für die Länder Mittel- und Osteuropas sowie für Rußland und die Nachfolgestaaten im Bereich der Sowjetunion allein 1995 um insgesamt 13,8 Milliarden Mark. Der Löwenanteil deutscher Zahlungen seit 1990 ging mit 108,9 Milliarden Mark an Rußland und die Länder der ehemaligen Sowjetunion (GUS).
Die mittel- und osteuropäischen Staaten wie zum Beispiel Polen, Ungarn oder die Länder des ehemaligen Jugoslawien erhielten seit 1990 insgesamt 50,4 Milliarden Mark. Allein 1995 wurde der Reformprozeß in diesen Ländern mit 4,5 Milliarden Mark unterstützt. Hier haben Hermes-Bürgschaften, staatliche Bürgschaften, die Exportkredite sichern, mit 11,4 Milliarden Mark den größten Anteil.
- „Umschuldungen": diskreter Begriff für den Verzicht auf Rückzahlungen gegebener Kredite – sprich: man verschenkt Geld. Allein Polen wurden seit 1990 Kredite in Höhe von sechs Milliarden Mark „umgeschuldet".
- Internationale Organisationen: Insgesamt zahlte die Bundesregierung 1996 6,6 Milliarden Mark Beiträge an internationale Organisationen – wie beispielsweise an die UNO-Unterorganisation UNIDO. Nach Angaben des CSU-Politikers Erich Riedl handele es sich bei den Organisationen um 369 Empfänger mit „fast überall organisatorisch aufgeblähten und unverantwortlich überbezahlten Personalkörpern".
Bislang hat kaum jemand den Mut, das Tabu deutscher Auslandszahlungen aufzugreifen. Hier wären leicht die Milliarden zu sparen, die dem Finanzminister im Haushalt fehlen. Stattdessen wird gelogen, daß sich die Balken biegen: So werden die astronomischen Netto-Zahlungen Deutschlands an den EU-Haushalt damit begründet, Deutschland sei als „Exportnation" besonders auf den Binnenmarkt angewiesen. Irrtum.
Mit knapp 50 Prozent Anteil am Export spielt der europäische Binnenmarkt für die deutsche Wirtschaft im Vergleich zu anderen EU-Staaten die geringste Rolle. Der Binnenmarkt ist hingegen für Frankreich zu 60 Prozent und die Benelux-Länder zu 73 Prozent das Zielgebiet der Exportindustrie (England: 50 Prozent). 

 
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