© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/97  05. Juni 1997

 
 
USA: Die Steuben-Parade in New York feiert in diesem Jahr ihr 40jähriges Jubiläum
Selbstbewußt deutschamerikanisch
von Ilse Meuter

Von Vereinsmeierei hat Autohändler Werner Stiegler (51) nie viel gehalten. Doch vor einem Jahr trat er dann doch dem "Schwaben-Sportsclub" im New Yorker Stadtteil Yonkers bei: "Des is Spaß, des Bockbierfest im März, und mir hamm des Oktoberfest a noch!" Sein Kollege aus Chicago, Kurt Ott (56), spricht aus, was eine steigende Zahl deutschstämmiger US-Amerikaner empfinden: "Es ist das Deutschtum, unsere Wurzel, was uns alle verbindet und was wir mehr pflegen müssen."

Dies geschieht in einer Weise, die nicht wenigen bundesrepublikanischen Betrachtern klischeehaft anmuten könnte, denn die Brauchtumspflege stützt sich nahezu ausschließlich auf bajuwarische Formen: Bieranstich beim jährlichen Frühlingstanz des "Bavarian Club Edelweiss" oder Trachtentanz beim Probenabend des "Schlierseer Stammtischs", einem von mittlerweile mehr als 750 Schuhplattler-Clubs in den USA.

Andere Vereinigungen lassen sich den norddeutschen "Klönsnack" angelegen sein, so etwa die 460 Mitglieder des "Plattdeutschen Volksfest-Vereens" aus Idaho, einige tausend Meilen entfernt von den "United Bavarians of Texas"; Kansas wartet mit dem bereits 400 Mitglieder starken "Rheinischen Sängerbund" auf, der Mitglieder in seinen Reihen hat, die sich selbst durch 80 Meilen Anfahrtsweg von den wöchentlichen Proben nicht abschrecken lassen. Gemeinsam mit Farbigen, die von "Lorelei" und "Am Brunnen vor dem Tore" geradezu fasziniert sind, werden unter der Leitung eines jüdischen Emigranten deutsche Volkslieder einstudiert, die der Jugend ihres Herkunftslandes mehr oder weniger fremd geworden sind: "Amerika – du hast es besser…"Deutsche in den USA – eine von vielen ethnischen Gruppen; eine kaum zu überschätzende und so wohl kaum intendierte Folge der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, des Rufes "Back to the roots!", ist es, daß die nordamerikanische Gesellschaft im Begriff steht, sich rasant in heterogene Bevölkerungssegmente zu zerlegen. Diese sich verstärkt subkulturell formierenden Teilgesellschaften sind dabei, sich jeweils als Minderheit zu definieren, und dies (bestenfalls) im Verhältnis zu anderen oder (schlechtestenfalls) in nachgerade feindlichem Gegensatz zu anderen Minderheiten. Diese schleichende Metamorphose der USA vollzieht sich insbesondere im Zeichen ethnischer Re-Identifizierungsprozesse, der "ethnic politics", die an den Universitäten des Landes zur "affirmative action" geführt haben. Diese "positive Diskriminierung" sollte nicht-weiße, nicht-angloamerikanische Studenten zur Verbesserung der Chancengleichheit befristet bevorzugen; sie wurde skurrilerweise just von jenem Bill Clinton autoritär gestoppt, der zuvor die Wählerstimmen der Benachteiligten auf sich hatte vereinigen können.

Deutsche in den USA – eine ethnische Minderheit. Oder, wie es der Komitee-Vorsitzende der alljährlich durch New Yorks Straßen marschierenden deutsch-nordamerikanischen "Steuben-Parade", William "Willy" Hetzler, sieht: "Wir Deutschen sind die stärkste ethnische Gruppe in den USA. Das ist eine Tatsache, und sie wird für die USA zunehmend wichtiger." Der gebürtige Münchner, Inhaber einer Dienstleistungs-Kette, wirkt seit einigen Jahren als umtriebiger Organisator in Sachen deutsch-nordamerikanischer Freundschaft. Derzeit macht er mit seinem Büro mobil zur Parade am 20. September, zu der erneut Hunderte von deutschen Vereinen, Abordnungen und kommunalen Goodwill-Botschaftern erwartet werden, ist doch vor allem die Zahl der Städtepartnerschaften in den zurückliegenden zehn Jahren sprunghaft angestiegen. Städte erinnern sich, oft anläßlich eines Jubiläums, ihrer Gründungsgeschichte und stoßen auf deutsche Wurzeln, selbst wenn sie nicht "Bismarck", "Wilhelmsburg" oder gar "Rheinfels" heißen; private Kontakte, touristische Besuche in der Heimat der Ahnen machen den Anfang, bevor so manche kommunale Partnerschaft durch offizielle Formen institutionalisiert wird.
Auch im September 1997 rechnet Hetzler mit einigen hundert Vereinen und Clubs aus Übersee, Tausende werden auf Manhattans Fifth Avenue erwartet. Die Steuben-Parade, heuer im 40sten Jahre, wurde nach Friedrich-Wilhelm von Steuben, einem Adjutanten Friedrichs des Großen, benannt, der über den Atlantik gesandt wurde, um den von der britischen Krone abtrünnigen Staaten als eine Art Militärberater zur Seite zu stehen. Nicht zuletzt seiner Fähigkeit war es zu verdanken, daß aus Rebellen durch preußischen Drill eine Armee wurde, die dem englischen Mutterland siegreich entgegenzutreten vermochte.

Der real existierenden Parade freilich haftet nichts Militärisches an, eher mutet sie wie eine Mischung aus niedersächsischem Schützenumzug und rheinischem Rosenmontagsumzug an. Leider erfüllt sie den Zweck nur unzureichend, den die Komitee-Satzung folgendermaßen umschreibt: "…der amerikanischen Öffentlichkeit zu zeigen, welche Rolle die deutschen Einwanderer in der Geschichte der USA gespielt haben". Dies könnte nur eine stärkere Berücksichtigung der tatsächlichen Vorgänge im Schulunterricht leisten, was nach zwei antideutschen Weltkriegen unter maßgeblicher Beteiligung der USA noch reine Zukunftsmusik ist.
Hetzler sucht derzeit noch nach einer oder mehreren prominenten deutschen Persönlichkeiten, die an diesem Tag mitmarschieren möchten. Nach den Berliner-Luftbrücken-VIPs Eberhard Diepgen, Manfred Stolpe und "Rotschal" Momper wirbt Willy heuer um eine Bonner Prominenz, nach Möglichkeit weiblichen Geschlechts; die in ihrer Amtsführung wenig glücklichen Rita Süssmuth und Roman Herzog winkten bereits ab, Hetzler liebäugelt noch mit "Seehofer oder Rexroth", doch auch mit dem Manager von Steffi Graf stehe man in Verhandlungen, heißt es.

"Mit der Parade können wir das Image der Deutschen in den USA aufpolieren", so Hetzler, "denn alles, was deutsch ist, wird hier zur Zeit wieder verstärkt von bestimmten großen Blättern in die Pfanne gehauen." "Ein Trend", so der kühle Geschäftsmann, "dem wir als Steuben-Komitee entgegenwirken wollen. Freilich fehlt die Unterstützung aus Bonn; insbesondere das Auswärtige Amt, läßt hier eine große Chance ungenutzt. Es geht nicht so sehr ums Geld, es geht hier um Idealismus, Kreativität und um die Bejahung des großen deutschen Beitrages zur Weltkultur."
Allerdings bewegt sich das von den Organisatoren im April gesetzte musikalische Zeichen noch auf der altbekannten kulturpolitischen Einbahnstraße: Die eigens für diesen Herbst komponierte Hymne wurde bereits auf CD gepreßt, ihr Titel lautet: "Thank you, America." – Wie aber sähe ein Nordamerika ohne die Leistung der Deutschen aus? Zumal mittlerweile mehr als ein Drittel der weißen US-Familien angeben, deutsche Vorfahren zu haben.


 
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