© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/97  05. Juni 1997

 
 
Unter Hempels Sofa, Aussiedler und die offenen Tore Deutschlands
"Aus der Bannmeile"
von Gerhard Imhoff

Heidewitzka, Herr Kapitän! Der Bundesgrenzschutz (BGS) See ist auf großer Fahrt, und der Bundesrechnungshof sitzt mit im Boot, freilich ohne daß die schwimmenden Grenzer dies bemerkt haben. Hier ein Auszug aus dem Reisebericht: Auf mündliche Weisung des Bundesinnenministeriums (BMI) vergab der BGS See die Arbeiten für die Grundinstandsetzung (Kapitel 06 25) von vier Booten der ehemaligen Nationalen Volksarmee (NVA) an eine Werft, ohne vorher eine Leistungsbeschreibung zu erstellen und ohne das beste Angebot im Rahmen einer Ausschreibung zu ermitteln. Ergebnis: Nach den Abrechnungen der Werft kostete die Grundinstandsetzung der vier Boote nicht wie vereinbart 3,1 Millionen Mark, sondern satte 3,5 Millionen Mark.

Wie bei Hempels unterm Sofa scheint es wohl in der Geschäftsstelle der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände auszusehen. Obwohl das Bundesministerium für Wirtschaft die Arbeitsgemeinschaft institutionell mit 6,5 Millionen DM jährlich fördert (Kapitel 09 02 Titel 684 75), scheint den Bonner Bleistiftstemmern nicht so ganz klar zu sein, was die Verbraucherschützer mit der Steuerkohle so alles anfangen. Im Prüfbericht des Bundesrechnungshofs heißt es zu den Zuständen in der Geschäftsstelle: "Einfachste Regelungen der Ablauforganisation, z.B. Geschäftsverteilungsplan und schriftliche Regelungen über die Sachbearbeitung, waren nicht vorhanden." Bleibt nur zu hoffen, daß die 8 bis 10 Millionen Mark Projektförderung, die die Arbeitsgemeinschaft jährlich (zusätzlich!) erhält, sachgerecht verwendet werden.
Eine sensationelle Nachricht hatte kürzlich der Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung, Horst Waffenschmidt, zu vermelden. Dieser teilte in einer Pressemitteilung vom 1. Mai 1997 mit, daß in den ersten vier Monaten dieses Jahres nur 45.293 (54.217 im Vergleichszeitraum 1996) Aussiedler nach Deutschland gekommen sind. Wenn das keine Entlastung für den Arbeitsmarkt ist!

Wie viele anerkannte Asylanten leben in Deutschland und wie viele Asylanten leben in Deutschland, die zwar nicht anerkannt sind, aber aus humanitären, rechtlichen und sonstigen Gründen nicht ausreisen, fragte der Abgeordnete Josef Hollerith (CDU/CSU) die Bundesregierung? Antwort des Staatssekretärs Kurt Schelter: Ende 1996 waren 169.972 Personen als Asylberechtigte anerkannt. Hinzu kamen noch 351.083 Ausländer, die sich auf Artikel 16a Grundgesetz beriefen oder wegen politischer Verfolgung Abschiebeschutz begehrten, deren Verfahren aber noch nicht abgeschlossen war. Weitere 150.982 Ausländer hatten aus humanitären, rechtlichen oder sonstigen Gründen eine Aufenthaltsbefugnis oder Duldung (Drucksache 13/7455). Deutschland mach die Tore auf!
Und jetzt noch was zum Thema Bundestagswahl 1998: Glaubt man Bonner Flur-Gerüchten, geht vielen Volksvertretern wegen des bevorstehenden Wahlkampfes ganz schön die Düse. Die meisten Besatzungsmitglieder des Raumschiffes Bonn glauben nämlich, daß sich der nächste Wahlkampf fast ausschließlich um den Euro drehen wird. Und da stellt sich für viele die Frage: Wie sag ich’s meinem Wähler? Darauf sind wir gespannt!


 
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