© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/97  30. Mai 1997

 
 
Studienzentrum Weikersheim: Wolfgang Freiherr von Stetten über die "konservative Ideenfabrik"
"Ich lasse mir nichts vorschreiben"
Interview mit Frhr. v. Stetten
Fragen: Thorsten Thaler

Herr von Stetten, das Studienzentrum Weikersheim galt bislang als freiheitlich-konservative Denkfabrik. Sie haben jetzt den Begriff "Ideenagentur" ins Spiel gebracht. Anzeichen für einen bevorstehenden Kurswechsel oder alter Wein in neuen Schläuchen?

STETTEN: Erst einmal ist noch nichts beschlossen. Das sind Vorschläge, die wir im Präsidium bzw. im Kuratorium besprechen und dann beschließen. Vielleicht bleibt es auch beim alten Namen.Was ich vielleicht geändert oder deutlicher formuliert habe, daß wir eben liberal-konservativ sind und nicht national-konservativ. Wobei ich nichts gegen Nationalkonservative habe, wenn sie nicht nationalistisch sind.

Sie haben in Ihrer Weikersheimer Rede von einer Verpflichtung Deutschland und Europa gegenüber gesprochen. Wie paßt das zusammen?

STETTEN: Ich würde zunächst Europa als den Oberbegriff, die notwendige Zukunft sehen, ohne dabei deutsche Interessen zu vernachlässigen. Das darf nicht geschehen. Doch wenn wir die nationalen Interessen voranstellen, werden wir Europa nie schaffen.

Sie gelten als Befürworter einer Europäischen Währungsunion.Werden Sie zukünftig auch noch Euro-Kritikern in Weikersheim ein Forum bieten?

STETTEN: Zunächst einmal bin ich der Meinung, daß der Euro keine Gefahr, sondern eine Chance ist oder Notwendigkeit. Aber selbstverständlich bekommen auch Euro-Kritiker Gelegenheit zu sprechen, aber nicht offiziell für Weikersheim. Natürlich wollen wir miteinander diskutieren und Streitgespräche führen, wir wollen ja nicht einen einheitlichen Brei haben. Die Meinung von Weikersheim aber kann nur der Präsident und das Präsidium formulieren.

Sie sollen erklärt haben, Politiker wie Peter Gauweiler nicht mehr als Referenten nach Weikersheim einladen zu wollen…

STETTEN: Das ist Quatsch! Gauweiler ist selbstverständlich als Referent willkommen, aber er ist kein Repräsentant von Weikersheim. Herr Gauweiler ist sicher ein hochinteressanter Politiker, mit dem sich auch trefflich streiten läßt. Aber ich bin in vielen Dingen, zum Beispiel in der Frage des Euro, nicht seiner Meinung.

Trotzdem: Wird es auch künftig in Weikersheim möglich sein, regierungskritische Stimmen zu hören?

STETTEN: Natürlich – werden Sie auch von mir. Kritische Stimmen sind willkommen, wenn sie nicht in Anspruch nehmen, für Weikersheim das Sprachrohr zu sein. Aber wir haben so viele Individualisten und Geisteskapazitäten in allen Sparten und Gremien, da wäre es schlimm, wenn wir alle einer Meinung wären.

Dennoch besteht in konservativen Kreisen die Unsicherheit, wohin das Schiff Weikersheim unter seinem neuen Kapitän steuert.

STETTEN: Zunächst einmal freut es mich, daß konservative Kreise gegen mich Bedenken haben. In der taz habe ich gelesen, die nicht gerade zu meinen täglichen Zeitungen gehört, daß ich dem konservativsten Flügel der CDU angehöre. Aber sehen Sie, es kann nicht sein, daß jemand der konservativ ist, nicht auch progressive Ideen hat. Konservativ heißt ja, das Bestehende, was gut ist, bewahren, aber dem Neuen nicht abhold sein. Ich bin natürlich für die neuen Techniken, zum Beispiel für den Transrapid. Ich denke auch, daß wir ohne Gentechnik nicht weiterkommen, wenn wir dabei die ethischen Grundsätze einhalten. Aber ich will schon deutlich sagen, daß ich die konservative Denkungsart dann für richtig halte, wenn sie nicht rückschrittlich und nicht nationalistisch ist. Es kann nicht sein, daß wir ins letzte Jahrhundert zurückkehren, in den Partikularismus, und sagen, wir sind uns genug. Ich stelle mir unter Europa vor, daß wir unsere Eigenarten behalten, und natürlich auch die deutsche Kultur vor anderen bevorzugen. Aber wir müssen das gemeinsame Europäische vertreten, auch gegen den militanten Islam, der sich um uns herum aufbaut.

Wollen Sie sich künftig auch tagesaktuellen Fragen widmen?

STETTEN: Ja, das werden wir mit Sicherheit auch, aber vor allem wollen wir, um auf die Ideenfabrik zurückzukommen, Thesen erarbeiten für drängende Probleme wie zum Beispiel die Arbeitslosigkeit. Auch vermisse ich immer noch eine fundierte wissenschaftliche Untermauerung, wieviel im Endeffekt die Volkswirtschaften Europas einsparen, wenn der Euro da ist. Das werden wir nicht kurzfristig leisten können, dazu fehlen die Vorbereitungen. Aber dazu wollen wir uns äußern, und wenn es gelingt, daß Weikersheim tagespolitisch gehört wird und auch zukunftsweisende Thesen von sich geben kann, dann haben wir viel erreicht. Das haben wir in den 70er und 80er Jahren gemacht. Denken Sie an die Deutschlandpolitik! Weikersheim hat doch bis auf die Minute genau vorausgesagt, wie der Kommunismus/Sozialismus zusammenbricht. Dafür wurden wir angegriffen, als wären wir die letzten Heuler der Restauration. Weikersheim war eigentlich immer vorausschauend aktuell, nur in den letzten Jahren haben wir mehr reagiert als agiert, weil eben diese Angriffe von den Linkschaoten, insbesondere auch gegen den Präsidenten, einen Hauptteil unserer Kapazitäten in Anspruch genommen haben. Das will ich völlig ändern. Wir werden darauf gelassen reagieren.

Sie haben jedem Extremismus von links und rechts eine Absage erteilt. Sehen Sie nicht auch eine Gefahr, die aus der Mitte der Gesellschaft kommt, Stichwort: politische Korrektheit?

STETTEN: Dieses Schlagwort kann ich gar nicht mehr hören. Da maßen sich einige Leute an, die Konservativen oder Rechten zu ermahnen, politisch korrekt zu sein und betrachten dies als Einbahnstraße, während die linke Seite machen kann, was sie will. Ich lasse mir von diesen Leuten nicht vorschreiben, wie ich zu handeln habe, genauso wenig, wie ich von ihnen verlange, daß sie bei der Wahrheit bleiben. Die politische Korrektheit dient ihnen selbst als Feigenblatt oder Persilschein. Aber ich will dieses Thema eigentlich gar nicht aufgreifen, das ist mir zu dumm. Weikersheim sollte versuchen, sachlich zu argumentieren, sachlich scharf, aber nicht auf Personen eingehen.

Das neunköpfige Präsidium des Studienzentrums Weikersheim wird in zwei Jahren neu gewählt. Wie weit soll der Generationswechsel, der jetzt mit Ihnen eingeleitet wurde, gehen?

STETTEN: Es gibt Ankündigungen von einzelnen Damen und Herren, die sagen, sie wollen das nur noch ein, zwei oder drei Jahre machen. Konkret ist noch überhaupt nichts geplant, weil ich auch noch nicht die Kenntnisse habe, wer weitermachen will oder wo Nachfolger in Sicht sind. Aber es wäre wünschenswert, daß sich das Durchschnittsalter senkt.

Ein Hinausdrängen einzelner Mitglieder wegen inhaltlicher Positionen wird es nicht geben?

STETTEN: Diese Arroganz habe ich nicht, daß ich sage, einer, der jahrelang im Präsidium war, muß wegen mir weichen, weil er eine andere Meinung hat. Er muß sich natürlich notfalls der Mehrheitsmeinung beugen, wenn er für Weikersheim sprechen will, aber er kann selbstverständlich jederzeit seine Meinung vertreten.

Sie haben die Idee aufgeworfen, mit dem Studienzentrum nach Berlin umzuziehen. Was reizt Sie an dem Moloch Berlin?

STETTEN: Das Studienzentrum kann nur da agieren, wo der Präsident letztlich arbeitet. Wann und wie immer ein Umzug ansteht, muß das Präsidium mitentscheiden. Weikersheim wird stärker als bisher einbezogen und die Geschäftsstelle wird vermutlich nicht Stuttgart bleiben.

Bitte geben Sie uns zu einigen Stichworten eine kurze Einschätzung: Wehrmachtsausstellung.

STETTEN: Das ist eine Unrechtsausstellung. Es kann nicht sein, daß 16 Millionen Soldaten für die Verbrechen einzelner, die es sicher gegeben hat, verantwortlich gemacht werden. Das ist eine typische Verallgemeinerung, mit der man die Wehrmacht als solche als Verbrecherorganisation abstempeln will.

Umbau des Sozialstaates.

STETTEN: Wir müssen sehen, daß der Mißbrauch beendet wird und es muß das Lohnabstandsgebot gelten. Es kann nicht sein, daß der, der arbeitet, weniger hat, als der, der nicht arbeitet.

Staatsangehörigkeitsrecht.

STETTEN: Es kann nicht die automatische Doppelstaatsbürgerschaft geben. Wenn – nehmen wir mal die Hauptgruppe an Fremden, die Türken – ein Türke vor der Entscheidung steht, Deutscher zu werden, weil er hier geboren ist und zehn oder zwanzig Jahre hier gelebt hat, dann ist er herzlich willkommen, aber er muß sich voll entscheiden. Die Geschichte hat immer wieder gelehrt: Wer nicht weiß, wohin er gehört, neigt auch dazu, schneller wieder zu wechseln.

Innere Sicherheit.

STETTEN: Wir müssen aufpassen, daß wir nicht zum Tummelplatz der europäischer organisierten Kriminalität werden. Wir sind zwar dabei, entsprechende Gesetze zu verabschieden, aber das ist alles sehr schwierig, weil wir die Zweidrittelmehrheit brauchen, zum Beispiel für den sogenannten "Lauschangriff", den ich "Elektronische Täterüberwachung" nenne, oder eine Verbesserung der Kronzeugenregelung. Außerdem müssen die Gerichte auch das Strafmaß ausnutzen, das vom Gesetz vorgegeben ist und nicht immer wieder bei jedem irgendeinen Milderungsgrund finden und die Täter uns hinterher auslachen. Es gibt eben inzwischen unter den Richtern eine Reihe der 68er Generation, die zwar Mitleid mit den Tätern, aber nicht mit den Opfern haben.

Zur Person:
Prof. Dr. Wolfgang Frhr. v. Stetten ist am vergangenen Freitag zum neuen Präsidenten des Studienzentrums Weikersheim gewählt worden. Geboren 1941 in Niederwartha/Meißen, studierte Wolfgang von Stetten Volkswirtschaft in Köln und Jura in Würzburg. Nach der Promotion und dem zweiten Staatsexamen arbeitete er zehn Jahre als Richter an verschiedenen Amts- und Landgerichten. 1984 wurde er als Professor für Handels- und Wirtschaftsrecht an die Fachhochschule Heilbronn berufen. Als Nachfolger von Philipp Jenninger wurde er 1990 erstmals direkt in den Bundestag gewählt. Wolfgang von Stetten gehört seit 1958 der CDU an und übte verschiedene Vorstandsämter auf Orts-, Kreis- und Landesebene aus. 26 Jahre war er Gemeinderat in seinem Wohnort Künzelsau, 15 Jahre Mitglied des Kreistages Hohenlohekreis. Wolfgang von Stetten ist seit bald 30 Jahren verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.


 
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