© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/97  30. Mai 1997

 
 
Anarcho-Szene: Die Festspielstadt war keine Reise wert
Keine Chaostage in Salzburg
von Erich Glück

Frei nach der wochentäglichen TV-Programmdevise "Willkommen in Österreich", die mit dem Orte-Suchrätsel "Punkt genau" ausklingt, hatte die internationale Punk-Szene diesmal nicht in Hannover, sondern in Salzburg ihre Chaostage "angesagt". Die Tatsache, daß die Punks genau zu Pfingsten der Mozartstadt mit der Festung als Wahrzeichen einen heißen Besuch abzustatten gedachten, ließ die Sicherheitskräfte Verstärkung aus dem ganzen Land anfordern und viele Geschäftsinhaber ihre Läden verbarrikadieren. So bleib zur herben Enttäuschung der zahlreichen zwecks vielversprechender Einschaltquoten bereits ganz auf "Action" eingestellten Kamerateams der Sturm auf die Festungsstadt aus. Die pfingstliche Hitze reduzierte sich auf die hochsommerlichen Temperaturen. Das Chaos blieb auf die verstopften Autobahnen der Alpenregion beschränkt. Es mußte sich rasch herumgesprochen haben, daß die Exekutive unter dem Motto "Grober Klotz auf großen Keil" nicht lange fackeln würde. Ähnlich war erst jüngst Berlins Polizei zur Schadensbegrenzung bei den jährlichen Ausschreitungen der "Autonomen" rund um den 1. Mai vorgegangen. "Wir haben Euch etwas mitgebracht: Haß, Haß, Haß!" skandierten die etwa 6.500 Anarchos zwischen Kreuzberg und Prenzlauer Berg, nachdem sie in der Nacht zuvor 20 Autos "abgefackelt" und mehrere Oberleitungen der Bundesbahn im Großraum Berlin-Brandenburg mit Hakenkrallen heruntergerissen hatten. Nach 325 Festnahmen erlebte die alte Reichs- und neue Bundeshauptstadt einen relativ ruhigen 1. Mai.

Pathologischer Haß und blinde Zerstörungswut sind die beiden Brennpunkte, die die Gewaltellipse von "Autonomen" und Punks verbindet. Während erstere das anarchistische Strandgut der 68er-Bewegung sind, wurden letztere von der "no future"-Welle der in den 70er Jahren beängstigend hohen Jugendarbeitslosigkeit in Großbritannien in die konfliktbereite destruktive Gegenwart geschwemmt. Im englischen Original bedeutet "punk" schäbig, armselig. "Leicht möglich, daß sie jetzt nicht aus Dusel vor polizeilicher Übermacht ihre chaotischen Bürgerschreck-Spektakel ausfallen lassen, sondern weil sie zu viel Zeit für den modischen Aufputz ihrer Irokesenschnitte brauchen", sticht Autor und Kolumnist Tony Parsons (41), der in die Jahre gekommene Ex-Punk aus nihilistischer Überzeugung mit der verbalen Sicherheitsnadel ("Punk-Modeschmuck der ersten Stunde") auf seine Epigonen ein und bekennt: "Alles eine Scheinrevolte voller Widersprüche. Wie konnte sonst die Punk-Kultband Sex Pistols mit dem berüchtigten Johnny Rotten ’God save the Queen – the Faschist regime’ singen und sich der Ober-Antifaschist der Band Sid Vicious mit NS-Symbolen schmücken?" – Vicious starb 21-jährig an einer Heroin-Überdosis.

Der blaue Salzburger Pfingsthimmel blieb von den angekündigten Gewittern der Gewalt als Selbstzweck verschont. Kapitulation der Krakeeler, in deren Organisationsnetz einige Maschen gerissen zu sein scheinen, vor der neuen "Law&Order"-Staatsmentalität oder nur Verschnaufpause der Minusseelen vor dem nächsten Streich? Die Flaschen flogen nicht auf das verhaßte Establishment der Satten. Die omnipräsente Polizei trafen nur wenige Steine des Anstoßes. Einige Uniformierte hatten nämlich wiederholt in übereifriger Hilfssheriff-Manier absolut harmlose Passanten perlustriert. Die Beamten waren den Neugierigen zuvor vor die schärfste Waffe aller Touristen dieser Welt, den Fotoapparat, gelaufen. Mancher Flascheninhalt floß ob der tropischen Temperaturen durch überhitzte Punk-Kehlen weit jenseits des ursprünglichen für die Festspiele der Fäuste Schlagzeilen liefernden "Schlag"-Schattens von Untersberg und Gaisberggipfel und abseits der und abseits der gleißenden Medienscheinwerfer. Der mit hochnäsiger ORF-Berichterstattung vertraute Beobachter konnte das Stimmungstief des "ZiB 2"-Moderators ausloten, als bereits am Freitag vor Pfingsten etwa 60 Personen, "die nach Punks aussahen" aus Salzburg hinauskomplimentiert worden waren: "Wahrscheinlich befanden sich darunter auch Festspielgäste", holte der dem Objektivitätsgebot selbstverständlich stets ergebene TV-Advokat der "political correctness" auch an jenem lauen Frühlingsabend seinen meist tiefgekühlten Humor aus dem Eiskeller der Heiterkeit. Ob damit die von den Osterfestspielen des März übriggebliebenen Gäste oder die Vorhut der in zwei Monaten beginnenden Sommerfestspiele, Österreichs liebsten aber auch mit Abstand teuersten Höhepunkt des Kulturjahres gemeint waren, verriet der ansonsten so informationsfreudige Mikro-Mann nicht.


 
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