© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/97  30. Mai 1997

 
 
Quittung für Arroganz
Kommentar
von Robert Schwarz

Trotz des hohen Stimmenanteiles von 44,3 Prozent für das Volksfrontbündnis aus Sozialisten, Kommunisten und Grünen beim ersten Wahlgang der französischen Parlamentswahlen ist noch nichts entschieden. In der zweiten und entscheidenden Runde werden die Karten neu gemischt. Viel hängt von der Mobilisierung der Nichtwähler und dem Verhalten der Bürgerlichen gegenüber dem Front National und umgekehrt ab.

Die Regierungsparteien sanken mit 33,3 Prozent der Wählerstimmen auf einen historischen Tiefstand. Rechnet man die hohe Wahlverweigerung von über 32 Prozent mit ein, dann kann sich Präsident Chirac gerade noch auf jeden fünften Franzosen stützen. Die Bürgerliche Rechte verdankt diese Schlappe hauptsächlich der eigenen Unfähigkeit, Arroganz und schamlosen Selbstbedienung. Chirac scheint sich dessen bewußt zu sein. Doch nicht er persönlich zieht die Konsequenzen, sondern bringt seinen unbeliebten Premierminister Juppé noch schnell vor dem zweiten Wahlgang als Bauernopfer dar. Um zu retten, was noch zu retten ist. Diese taktischen Spielchen, die schon bei der Parlamentsauflösung angewandt wurden, lassen darauf schließen, daß Chirac das Volk für politisch unmündig hält.

Die überraschende Neuwahl der Volksvertretung sollte vor allem einen kalt erwischen mit dem Chirac auf Kriegsfuß steht und den er für nicht bündnisfähig hält: Le Pen. Doch die guten Ergebnisse des FN, der seit Jahren einen Dauerwahlkampf bestreitet und trotz erzwungener Medienabstinenz auf nunmehr 15 Prozent Wähleranteil zulegen konnte, zeigen, daß diese Rechnung nicht aufgegangen ist. In 133 Wahlkreisen wird der FN in der Stichwahl präsent sein und den Kandidaten der Regierungskoalition das Leben schwer machen. Als Sieger aus vielen Dreikämpfen wird dann ein Linker hervorgehen, weil RPR und UDF in ihrer Uneinsichtigkeit jede Wahlabsprache mit der Partei Le Pens ablehnen und im Zweifel lieber einen Stalinisten als einen nationalen Rechten im Parlament sehen.

Dabei müßte bei der Analyse der Wahlergebnisse auch den bürgerlichen Führungsspitzen klar geworden sein, daß der FN die Phase der reinen Protestpartei längst überwunden hat und künftig ein kräftiges Wort mitreden wird, wenn auch aufgrund des Wahlrechtes derzeit noch außerparlamentarisch. Die Bipolarisierung Frankreichs in ein linkes und ein rechtsbürgerliches Lager gehört mit dieser Wahl endgültig der Vergangenheit an. Das nationale Lager hat sich als dritte politische Kraft derart stabilisiert, daß es auf einen dauerhaft steigenden, derzeit sich bei 15 Prozent der Wähler bewegenden, Rückhalt bauen kann.


 
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