© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/97  30. Mai 1997

 
 
Berlin – Wien: Herzog-Staatsbesuch in Österreich
"Gemeinsam zu Hause"
von Andreas Mölzer

Bei seiner Tischrede im Rahmen des Staatsbanketts beim vorwöchigen Staatsbesuch in Wien hatte der bundesdeutsche Präsident Roman Herzog zwar davor gewarnt, die "geistigen Wurzeln mit nationalem Pathos zu überfrachten". Gleichzeitig aber meinte er: "Deutsche und Österreicher sind in ihrer Geschichte, in ihrer Kultur und Lebensart nicht allein daheim, sondern gemeinsam zu Hause".

Damit gibt es eine neue Variante im verbalen Bauchtanz, wenn sich Bonner und Wiener Politiker gegenseitig zwar Freundlichkeiten und die Betonung kultureller und historischer Gemeinsamkeiten sagen wollen, ohne die gemeinsame nationale Identität wirklich bekennen zu müssen. In seiner neuentdeckten Rolle als "Abraham a Santa Clara" (so Rudolf Augstein im Spiegel) der Deutschen scheint Roman Herzog zunehmend Routine bei der mehrdeutigen und doch gewichtig erscheinenden Formulierung zu gewinnen: Österreicher und Bundesdeutsche sind also in der deutschen Geschichte "gemeinsam zu Hause".

Der Staatsbesuch, der eher aus protokollarischen denn politischen Höhepunkten bestand, demonstrierte im Grunde ein konfliktfreies deutsch-österreichisches Nachbarschaftsverhältnis. Jene politischen Themen, die man ansprach, etwa das Stimmrecht der kleineren EU-Mitglieder, die EU-Osterweiterung oder Österreichs NATO-Beitritt wurden eher unverbindlich und im Plauderton abgehandelt. Keine besondere Sensation war es, daß Herzog versprach, die Deutschen würden sich "nicht in die österreichische Diskussion" um den Beitritt zur NATO einmischen. Man vertraue darauf, daß die Österreicher schon die richtige Entscheidung treffen würden.

Ebensowenig erstaunlich war Herzogs Eintreten für die EU-Osterweiterung: So wie Österreich mehr über Südost-Europa wisse als andere europäische Staaten könnten auch neue EU-Mitglieder "das, was in Archiven und Köpfen gespeichert ist", zum Vorteil der Union einbringen. Erwartungsgemäß freundlich war auch Herzogs Erklärung zum Verhältnis zwischen den EU-Ländern: Die "Rücksichtnahme der geographisch großen Mitgliedsstaaten auf die Anliegen der kleinen und dafür einzutreten, Machtpolitik durch Verantwortungspolitik zu ersetzen", gehöre zur Solidarität in der Europäischen Union. Was die deutsche Staatsspitze von dem Vorschlag, den Österreichs Außenminister Wolfgang Schüssel jüngst (Interview im Rheinischen Merkur mit Peter Maier-Bergfeld) geäußert hatte, daß nämlich nicht die Größe der EU-Mitgliedsstaaten über deren Stimmrecht entscheiden solle, sondern die Frage, wie weit sie Netto-Zahler seien, halte, konnte man auch von Herzog nicht erfahren.

Stillschweigend scheint man jedenfalls in Wien davon auszugehen, daß im Falle der wirklichen Reduktion der EU-Kommission auf die großen Staaten eben Bonn/Berlin so etwas wie gesamtdeutsche Rest-Solidarität mit Wien demonstrieren werde.

Die bahnbrechende Unterstützung Bonns für Österreich auf dem Weg in die EU vor wenigen Jahren dürfte dabei das Vorbild sein.


 
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