© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/97  30. Mai 1997

 
 
Abgezockte Kapitalisten?
Kommentar
von Bernd-Thomas Ramb

Die Geduld der deutschen Unternehmer ist beeindruckend. Seit Jahren wird ihnen von den Politikern steuerliche Entlastung versprochen, ja geradezu als überlebensnotwendige Sofortmaßnahme attestiert. Außer vagen Versprechungen hat sich bislang jedoch kaum Greifbares ergeben, die Hoffnung auf baldige Erleichterung dafür immer mehr zerschlagen. So verwundert es kaum, daß Jahr für Jahr die Zahl der Unternehmen steigt, die sich im Ausland absetzen oder Konkurs anmelden.

Mit einem tariflichen Grenzsteuersatz von 65 Prozent war Deutschland im letzten Jahr unter den nichtsozialistischen Staaten einsamer Spitzenreiter. Mit der Einrechnung der seit Beginn diesen Jahres abgeschafften Vermögenssteuer sinkt der Prozentwert zwar auf 60,42 herab, so daß die "rote Laterne" knapp an Italien weitergegeben wird, aber das dürfte den Unternehmern nur einen schwachen Trost bieten. Um auch nur in die Nähe der 46 Prozent zu geraten, die den US-amerikanischen Firmen abgeknöpft wird, müßte in Deutschland nicht nur die Gewerbekapitalsteuer wie versprochen abgeschafft und die beschlossene Absenkung des Solidarzuschlags auch tatsächlich eingehalten werden. Selbst bei einer zusätzlichen Reduktion der Körperschaftssteuer auf 35 Prozent läge die deutsche Unternehmenssteuer immer noch bei 47,5 Prozent und damit höher als im Neo-Wirtschaftwunderland USA. Die angesichts der deutschen Reformrealität traumhaft geringen Steuersätze unter 40 Prozent haben die Niederlande (35 Prozent), Großbritannien (33) und, man höre und staune, Schweden (28) verwirklicht. Diese scheinbar einseitig unternehmensfreundliche Staaten nutzen brutal ein ehernes Gesetz des Kapitalismus aus: Nicht der maximale, sondern der optimale Steuersatz ist für Wirtschaftswachstum und Steueraufkommen entscheidend. Ein überzeugendes Beispiel bieten die langfristigen Vergleiche von Steuersätzen und Steueraufkommen. Nachdem in den USA der Einkommensteuersatz von 50 auf 28 und die Körperschaftssteuer von 46 auf 34 Prozent gesenkt wurde, stiegen die Staatseinnahmen aus der Einkommensteuer um 17 und die aus der Körperschaftssteuer um 56 Prozent. Ähnliche Reaktionen wurden in Großbritannien gemessen. In Deutschland ist in diesen Jahren alles beim alten geblieben. Bei unveränderten Steuersätzen und Steueraufkommen ist nur das Defizit gestiegen.

Ökonomische Sachverhalte prägen jedoch nur die eine Seite der wirtschaftlichen Realität. Politischer Mut zur Steuerreform scheint angesichts der Phantomschmerzensschreie, ob der irrational unterstellten Bevorzugung der neidvoll reichen Unternehmer auf verlorenem Posten zu stehen. Die Devise heißt weiter: die bösen Kapitalisten müssen abgezockt werden.


 
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