© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/97  30. Mai 1997

 
 
Vergangenheitsbewältigung: Ein US-Bericht richtet massive Vorwürfe an die Schweiz
Die Eidgenossen und das Nazi-Gold
von Frank Liebermann

In der Schweiz sind die unbeschwerten Tage zu Ende. Mit ängstlicher Zuversicht erwartete die eidgenössische Regierung die Veröffentlichung des sogenannten "Eizenstat-Berichts". Das Dokument ist nach dem US-Unterstaatssekretär Stuart Eisenstat benannt. Der Inhalt ist brisant: Den Schweizern wird vorgeworfen, sie seien die Bankiers und Finanziers der Nationalsozialisten gewesen. Und sie hätten durch ihre Finanzspritzen geholfen, den Zweiten Weltkrieg zu verlängern.

Der Bericht ist der erste, der eindeutige Schuldzuweisungen an die Schweiz richtet und sie deutlich beim Namen nennt. Alle vorhergegangenen Untersuchungen waren sehr vorsichtig und zurückhaltend. Anders der Eizenstat-Bericht. Er rechnet auf 500 Seiten schonungslos mit der Schweiz ab. Wie wenig sich die USA für die Schweizer Befindlichkeiten interessierten, zeigte auch die Art und Weise, wie der Bericht übergeben wurde. Der Schweizer Außenminister Flavio Cotti bekam nur wenige Stunden Zeit den Bericht zu studieren und eine erste Stellungnahme abzugeben.

In dem Bericht untersuchen die Amerikaner auch das Verhältnis von anderen neutralen Staaten zu Deutschland. Schweden, Türkei und Spanien hätten zwar ebenfalls Kontakte gehabt und kollabiert, allerdings nicht in dem Ausmaße, wie die Schweiz. Den Eidgenossen wird unterstellt, die direktesten und besten Verbindungen zum Dritten Reich gehabt zu haben. Der Bericht ist vor allem aus einem Grund unangenehm. Er bestätigt offiziell, was bisher nur vermutet wurde: Gekaufte Goldbarren aus Deutschland enthielten auch das Zahngold ermordeter Juden, die in Konzentrationslagern herausgebrochen wurden. Beruhigt reagierte Außenminister Cotti, als klar wurde, daß die Schweizer von dem in Barren geschmolzenem Gold die Abstammung nicht kannten.

Der Eizenstat-Bericht beendet den Schweizer Mythos von der sauberen Neutralität. Jahrelang entzog sich der Alpenstaat seiner Verantwortung und "bereicherte sich am Vermögen der Holocaust-Opfer", so der Bericht. Der Züricher Journalist Gian Trepp schrieb dazu: "Zum ersten mal hat eine ausländische Regierung die Schweizer Banker offiziell als Hitlers Hehler bezeichnet".

Sieben Monate lang arbeiteten zahlreiche Historiker im Auftrag des amerikanischen Handelsministerium an einer Arbeit, die die Rolle der neutralen Länder während des zweiten Weltkriegs untersuchen sollte. Insgesamt 15 Millionen Dokumente wurden analysiert. Das Fazit der Studie: Von 1939 bis 1945 schufen die Deutschen geraubtes Gold in einem heutigen Wert von rund 5,6 Milliarden Dollar in die Schweiz (damaliger Wert: über 570 Million Dollar). Zu einem großen Teil stammte das Gold aus den Zentralbanken der besetzten Länder. Der Vorwurf von Eizenstat: Die Schweiz nahm das Geld wissentlich und bewußt an. Sie wollte von dem Diebstahl profitieren. Für große Empörung sorgte eine weitere Tatsache. Auch das Zahngold und der Schmuck von ermordeten Juden wurde in die Schweiz geschaffen. Der Anteil am Gesamtvolumen betrug 20 Prozent.

In Bern sind die Politiker erbost. Vor allem deshalb, weil ihnen Kriegsgewinnlertum vorgeworfen wird. Das viel von dem geraubten Geld den Weg zu seinen Besitzern nicht zurückfand, hat mehrere Gründe. Einige der Opferanwälte unterstellen pure Absicht. Mit Hilfe von Gesetzen ist es möglich, Konten abzuräumen. Ein möglicher Trick geht folgendermaßen: Viele Kunden bei Schweizer Banken bestehen darauf, daß ihre Post nicht nach Hause geschickt wird, sondern bei der Bank liegen bleibt, bis sie jemand abholt. Meldet sich ein Kunde zehn Jahre lang nicht, kann sein Konto von der Bank gekündigt werden. Die Kündigung bleibt ebenfalls bei der Bank lagernd liegen. Nach einer weiteren Frist von zehn Jahren fällt das Vermögen automatisch an die Bank und die Unterlagen dürfen vernichtet werden. Woher das Geld stammt, ist dann nach einer gewissen Zeit nicht mehr nachvollziehbar.

Mit ihrem sicheren Bankgeheimnis war die Schweiz von immenser Bedeutung für Deutschland. Aber auch umgekehrt. Bei jeder Transaktion verdienten die Schweizer mit. Das Bankgeheimnis aus dem Jahre 1934 schützte die Konten der meisten führenden Nazigrößen. Himmler, Goebbels, Hitler und andere wußten ihr Geld in der Schweiz sicher. Die Verärgerung der Alliierten war so groß, daß sie sich 1944 überlegten, ob sie Schweizer Bahnlinien bombardieren sollten.

Außenminister Cotti versucht nun Boden gutzumachen. Er bemängelt hauptsächlich, daß die Amerikaner nicht auf die besondere Situation der Schweiz während des Zweiten Weltkrieges eingegangen seien. Von allen Seiten umzingelt wäre den Eidgenossen nichts anderes übriggeblieben, als mit dem Deutschen Reich Handel zu treiben. Davon wollen die Amerikaner nichts wissen. Sie werfen den Schweizern vor, daß nach der Niederlage von Stalingrad offensichtlich war, daß die Deutschen den Krieg verlieren würden. Und wer es da noch nicht begriffen hatte, mußte es nach der Landung in der Normandie bemerken. Spätestens seit dem Juni 1944 hätte für die Schweiz keine Gefahr mehr bestanden. Besondere Kritik ernteten die Schweizer für Kredite an die KZ-Wirtschaftsbetriebe, die diese noch 1945 erhielten. Darüber hinaus verwalteten sie die Nummernkonten der SS bis zum Kriegsende. Die USA fror aus diesem Grund während des Krieges alle Schweizer Konten ein, weil sie den Verdacht der Kooperation mit Deutschland hatten. 1946 gaben sie die Konten wieder frei, ohne auf eine Verpflichtung zu drängen, die eine Rückgabe an die Opfer verlangte. Damit nahm die USA bewußt Rücksicht auf den beginnenden Kalten Krieg. Ihnen war eine Schweiz auf ihrer Seite wichtiger, als die Rückzahlung an mögliche Opfer. Bisher stehen die Schweizer mit dem Rücken an der Wand. Dem Bericht wird selbst von prominenter Seite aus der Schweiz zugestanden, daß er für amerikanische Verhältnisse sehr abwägend und wenig polemisch sei. Einige Gruppen äußerten, daß sie den Bericht grundsätzlich begrüßen. Dem Außenminister wird vorgeworfen, er reagiere nicht angemessen genug auf die Sache. Cotti zeigte sich deutlich irritiert, mit der harten Weise, wie die Amerikaner mit der Schweiz ins Gericht gingen. Schließlich behaupten die Schweizer Bankiers, sie hätten von dem geraubten Gold und dem Zahngold nichts gewußt. Am härtesten stößt auf, daß die Rolle der Schweiz aus der heutigen Sichtweise der Dinge beurteilt wird. Außenminister Cotti: "Der Bundesrat vermißt eine angemessene Würdigung der äußerst schwierigen Lage, in der sich unser Land militärisch und versorgungsmäßig befand." Auch die Rechte in der Schweiz äußerte massive Kritik. Sie sieht den Bericht als einen weiteren Versuch vom Ausland, der Schweiz Schuldgeständnisse abzupressen. Das Problem dabei: Noch heute betrachten die Amerikaner den Krieg gegen Deutschland nicht wie irgendeinen anderen Krieg. Für sie war es eine Mission, die Europa befreien sollte. Das ist noch nicht in die Köpfe der Schweizer gedrungen. Insofern ist es nur selbstverständlich, daß die Schweizer ihre eigene Neutralität nicht kritisch hinterfragen.

Das zeigt auch die Aussage des Chefs der Schweizer Nazigold-Untersuchungskommission Thomas Borer. Er vertritt die Auffassung, das nach damaligen Kriegsrecht die Besatzer eines Landes legal die Goldreserven einziehen durften. Eizenstat bezeichnet diesen Vorgang als den größten Diebstahl in der Geschichte. Für den Unterstaatssekretär ist es offensichtlich, daß die Schweiz von dem geraubten Gold wußte, und damit auch von dem Diebstahl. Zwar gab es immer wieder Versuche, die eigene Vergangenheit aufzuarbeiten, diese blieben jedoch meistens in den Ansätzen stecken.

Entsetzt ist der Vorsitzende der Jewish Agency, Abraham Burg. Er richtete schon in der Vergangenheit Vorwürfe an die Schweiz und andere neutrale Staaten. Durch den Eizenstat-Bericht fühlt er sich bestätigt. Nun fordert er eine internationale Kommission zur Aufklärung über den Verbleib des jüdischen Vermögens aus dem zweiten Weltkrieg. Burg ist entsetzt über den Handel mit dem Gold der Opfer. Er sieht sich in seinen Forderungen nach der Rückgabe des Goldes nur bestätigt.

Die Regierung kündigt unterdessen Wiedergutmachtung an. Eine "Stiftung für Solidarität", die mit dem Verkauf von Goldreserven gespeist werden soll, ist ein Versuch politischen Handlungsspielraum zurückzugewinnen. Der Fond soll 265 Millionen Franken umfassen und wird von Wirtschaft und Banken getragen. Auf die Kritiker hat das nur eine geringe Wirkung. Einer der schärfsten Kritiker der Eidgenossen ist der US-Senator Alfonse d’Amato. Er fordert die Regierung in Washington auf, daß ein 50 Jahre altes Abkommen neu regeln solle, das Ansprüche der Alliierten aus den Schweizer Goldgeschäften mit Deutschland regelt.

Ungeklärt bleibt in dem Bericht auch die Rolle der Privatbanken. Sie hätten nicht nur mit Gold gehandelt, sondern auch in großem Ausmaße Schmuckstücke gekauft. Kritik mußte sich Flavio Cotti auf von dem emeritierten US-Professor Raul Hillberg gefallen lassen. Hillberg schilderte in einem Vortrag an der Universität Zürich, an dem auch der Schweizer Außenminister zu Gast war, daß spätestens seit 1942 maßgebliche Persönlichkeiten der Schweiz von den Vernichtungslagern gewußt haben müssen, zumal das Rote Kreuz schon informiert war. Flavio Cotti gibt sich selbstkritisch: "Wir wollen Wahrheit und Gerechtigkeit."


 
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