© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/97  30. Mai 1997

 
 
Der Islamismus in Frankreichs Schulen
von Beat Christoph Baeschlin

Die islamische Einwanderung stellt an die Lehrerschaft europäischer Schulen fast unlösbare Probleme. Die Politiker wünschen nicht, daß darüber gesprochen wird, denn sie möchten in ihrer Beschäftigung nicht durch Probleme gestört werden, die sie zwar verursacht haben, aber denen gegenüber sie keine Meinung haben wollen – oder dürfen.

Auch das Fernsehen ist grundsätzlich gegen die öffentliche Erörterung der Einwanderungs-Problematik. Nun ist aber an einer religiösen Fernsehaussprache Einblick gewährt worden, daß die Volksschullehrer in den weitläufigen Ballungsräumen der islamischen Einwanderung sich vor unerhörte Schwierigkeiten gestellt sehen. Eine Lehrerin aus einer der nördlichen Banlieues (Vorstädte) von Paris berichtete: "Was ich meinen acht- bis zwölfjährigen Zöglingen vortragen muß, löst oft einen Sturm der Entrüstung aus, indem die muslimischen Schüler den Unterricht verunmöglichen. Denn in unserem Viertel besteht die Bevölkerung etwa zur Hälfte aus nordafrikanisch-maghrebinischen Einwanderern aus Marokko und Algerien. Wie soll ich das vorgeschriebene Geschichtspensum durcharbeiten, wenn die Hälfte der Schüler den Unterricht kurzerhand blockiert? Die gesamte mittelalterliche Geschichtsperiode wird von den eta 50 Prozent – manchmal sind es sogar erheblich mehr – islamischen Schülern mit Empörung zurückgewiesen und ich kenne kein Mittel, um diese Verweigerung zu überwinden…"

Die Schwierigkeiten ergeben sich aber nicht nur im Geschichtsunterricht. Ganz brenzlig ist auch der Zeichenunterricht: Sobald irgendwie eine Kirche, ein Friedhof oder gar ein Kreuz zu zeichnen ist, begegnen wir geschlossenem Widerstand. Die muslimischen Schüler erklären, es sei einem Moslem verboten, derartige Dinge zu zeichnen.

Angesichts der oppositionellen Haltung ihrer muslimischen Schüler hat sich die Lehrerin mit dem Imam des Viertels in Verbindung gesetzt. Dieser hat sie sehr freundlich aufgenommen und sogleich Tee und Gebäck bereitgestellt. Aber vorerst konnte keine Verständigung stattfinden, weil der Imam kein Wort Französisch verstand! Also mußte vorerst ein Dolmetscher ausfindig gemacht werden. Aus dem sich nun ergebenden Gespräch wurde erkennbar, daß es für die muslimischen Kinder in Frankreich gar keinen richtigen religiösen Unterricht gibt. Das Auswendiglernen von Koranversen erfolgt nicht im Sinne einer Katechismus-Logik. Darum haben die Gläubigen sehr oft nur bruckstückhafte Kenntnis der Glaubenssätze. Der Imam erklärte denn auch, daß einem gläubigen Muslime keineswegs verboten sei, Zeichnungen anzufertigen, sogar von Kirchen oder von christlichen Friedhöfen.

Natürlich würden derartige Aussagen von den Schulkindern als gegenstandslos bewertet, wenn ein französischer Lehrer diese bekanntgäbe. Die Kinder müßten folglich das alles aus dem Munde eines Imam vernehmen. Alles andere würden sie als bloße Täuschungsversuche auffassen. Aber wie bringt man einen Imam in eine französische, laizistische Schule? – Das ist die große Frage.

Tragisch wird die Sache, sobald die Kinder französischer oder sonstiger europäischer Herkunft dem Ansturm der islamischen Mitschüler entgegenwirken möchten. Wie aus den Gesprächen der Lehrerin mit dem Imam ersichtlich ist, gehen die islamischen Kinder mit ihrem Anspruch auf Zensur und Berücksichtigung ihrer Anliegen viel zu weit oder täuschen sich, weil auch sie den Islam nur bruchstückweise kennen. Das forsche Auftreten der Nordafrikaner weckt in den Kindern europäischer Herkunft einen gewissen Willen zur Selbstbehauptung. Sie fühlen sich von der stark offensiven Art und Weise der Einwandererkinder überrumpelt und in die Defensive gedrängt. Aber nun müssen diese Kinder plötzlich die betrübliche Feststellung machen, daß ihnen jegliche Kenntnis der christlichen Religion fehlt. Von ihren Eltern haben sie nie irgendwelche Auskünfte über ihre eigene Religion erhalten, und die streng laizistische (in Wirklichkeit atheistische) Schule hat nie derartige Kenntnisse vermitteln wollen.

Doch auch von kirchlicher Seite haben diese Kinder keine Unterstützung erhalten: religiösen Unterricht für Kinder gibt es in diesem Niemandsland der Pariser Vorortgemeinden kaum. Angesichts ihrer kärglichen Mittel können die christlichen "Amtskirchen" ihre Anliegen nicht bekanntgeben und vermögen nicht, ihre Stimme zu erheben. Auch ist die total atheistisch herangebildete Lehrerschaft selten imstande, den nicht-islamischen Kindern irgendwelche Schützenhilfe zu leisten.

Am genannten Friedensgespräch nahm auch ein älterer Lehrer mohammedanischen Glaubens teil. Er war offensichtlich Araber und hat zur Zeit der französichen Verwaltung in Algerien gewirkt. Er betonte vor allem, daß der Schulunterricht damals viel sorgfältiger argumentierte. Es wurde klar unterschieden zwischen der arabischen und der christlichen sowie der laizistisch-atheistischen Auffassung. Vor allem lobte er die damaligen Geschichtsbücher. Diese hatten bei strittigen Fragen (Karl Martell, Karl der Große, Seeschlacht von Lepanto etc.) nebeneinander gesondert den europäisch/christlichen und den arabisch/islamischen Standpunkt sorgfältig getrennt dargestellt. Der arabische Lehrer bedauerte, daß heute solche Sorgfalt durchaus fehle, was in allen Schulen belastend wirke, beispielsweise in allen Vororten der großen französischen Städte. Das führe zur Zuspitzung der Gegensätze, die von Jahr zu Jahr dramatischere Formen annähmen.

Es berührt sonderbar, wenn heute ausgerechnet von islamischer Seite gewisse Methoden der Kolonialzeit gelobt werden, wo doch gemäß offizieller Staatsdogmatik alles, was irgendwie vom Kolonialismus geprägt ist, als das Böse an sich gebrandmarkt wird.

Die eingangs erwähnte protestantisch-katholische Gemeinschaftssendung vom 2. März 1997 im französischen Fernsehen war – ideologisch gesehen – ein Betriebsunfall. Der in allen modernen Demokratien emsig wirkenden Gedankenpolizei ist ein Schnippchen geschlagen worden. Niemand hatte das voraussehen können, weil die kirchlichen Mitarbeiter die Menschenrechts-Theorien als unumstößliche Dogmen anerkennen.

Niemand in der ganzen Tafelrunde des Podiumsgesprächs merkte wohl, daß da eine handfeste Kritik an den Glaubenssätzen der Menschenrechte erfolgt war. Denn in kirchlichen Kreisen herrscht eine geradezu märchenhafte Unkenntnis dessen, was die Menschenrechts-Dogmatik wirklich bedeutet. Nämlich: Der Mensch ist nur ein Atom, ein hilfloses Einzelwesen. Alle Bindungen an Einzelpersonen (wie etwa die Ehe) oder an Gruppen sind nur künstliche, beeinträchtigende und deshalb verabscheuungswürdige Fesseln, von denen "der Mensch" sich befreien muß; solche Fesseln sind: die Familie, die Sippschaft, die Volksgemeinschaft, die Nation, die Sprach- und Kulturgemeinde und vor allem die Zugehörigkeit zu irgendwelcher Kirche oder religiösen Bekenntnisgruppe.

Nur wer von all diesen Bindungen frei ist, kann den "Wert" der Menschenrechte wahrnehmen. Wer ohne familiäre, volkliche oder religiöse Bindungen lebt, ist überall und nirgendwo zu Hause. Darum soll die Welt nicht mehr aus verschiedenen "Herden" von Menschen bestehen, sondern nur noch aus dem Prototyp "Mensch"; denn alle menschlichen Wesen sollen "gleich" sein.

Dr. iur. Beat Christoph Baeschlin war Mitarbeiter im schweizerischen Innenministerium in Bern.


 
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