© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/97  30. Mai 1997

 
 
Burschentag: Folkloristischer Widerstand gegen Jahrestreffen in Jena
Mutige Vermummte warfen Eier
von Axel Gierspeck

Über 100 Mitgliedsburschenschaften und deren Altherrenverbände trafen sich in der Woche nach Pfingsten in Jena zum diesjährigen Burschentag, um politische und hochschulpolitische Anträge zu diskutieren, Perspektiven zu entwickeln und Kontakte zu pflegen. Diskutiert wurde der Austritt aus dem gemeinsamen Dachverband aller studentischen und akademischen Korporationsverbände, dem CDK/CDA, da seitens anderer Verbände in der Vergangenheit Anfeindungen und Diffamierungen zur eigenen Profilierung gegen die Deutschen Burschenschaften sichtbar wurden. Beschlossen wurde, jegliche Zusammenarbeit auf korporativer Ebene mit einer kleinen Absplitterung der Deutschen Burschenschaft, der sogenannten "Neuen Deutschen Burschenschaft" aufzugeben. Mit überwältigenden Mehrheiten wurden Anträge zur Verurteilung der Anti-Wehrmachts-ausstellung und dem deutsch-tschechischen-Vertrag zur Versöhnung angenommen, der Antrag zur Aufnahme einer Pflichtmensur als Verbandsprinzip scheiterte dagegen an nur 13 Stimmen. Zur designierten Vorsitzenden wurde einstimmig die Frankfurt-Leipziger Burschenschaft Arminia gewählt.

Wichtiger als die Abhandlung der Tagesordnung waren die Diskussionen um das Leitthema des Burschentages "Deutschlands Zukunft in Europa", zu dem am Freitag eine mehrstündige Podiumsdiskussion mit Abgeordneten des Europäischen Parlaments abgehalten wurde. Die CDU-Politiker Dieter Lebrecht Koch und Rolf Berend diskutierten gegen FPÖ-Nationalrat Martin Graf und den überwiegenden Teil der etwa 800 Zuhörer. Während Koch und Berend mit der üblichen Dickköpfigkeit von Parteisoldaten vehement die Idee ihres Europas verteidigten, kam reichhaltige Kritik aus dem Plenum. Die Fragesteller wollten sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, daß es zu dem Europagedanken der etablierten Parteien keine Alternative gebe. Martin Graf sprach aus, was die Zuhörer schon in ihren Fragen deutlich zu machen versuchten: Europa muß das föderalistische System seiner einzelnen Nationalstaaten beibehalten und darf keine Regionen schaffen, die nicht historisch gewachsen sind. In der derzeitigen Form sei die EU nicht unterstützenswert. Während im Saal des Hotels Esplanade diskutiert wurde, formierte sich davor der Widerstand gegen den Burschentag. Etwa 200 Personen boten mit Tanz bei Geigen-, Gitarren- und Trommelmusik eine folkloristische Darbietung zum Thema "Burschen verpißt Euch, keiner vermißt Euch!".

In der anschließenden Nacht kam es zu kleineren Ausschreitungen, als vermummte Fahrradfahrer mutig Eier auf flanierende Burschenschafter und Steine in die Fenster der Verbindungshäuser warfen. Auch die Reifen eines Busses mußten auf die Schadensliste gesetzt werden. Zwei Demonstrantinnen überwanden ihre Scheu, hörten sich die Podiumsdiskussion an und diskutierten eifrig mit den umstehenden Korporierten.

Die Festrede des Kommerses am Samstag hielt Hans-Helmuth Knütter, der mit seiner kämpferischen Aufforderung zum aktiven Engagement nicht nur in der Hochschulpolitik, sonder auch darüber hinaus viel Beifall erhielt. Die Deutsche Burschenschaft solle mit aller Kraft für die Bewahrung der Werte ihres Wahlspruches "Ehre, Freiheit, Vaterland" eintreten und Einfluß auf die Politiker unseres Landes nehmen. Und hier gerade auch auf die vielen Burschenschafter unter den Politikern – so sollte es verstanden werden.


 
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