© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/97  30. Mai 1997

 
 
Memento
Kolumne
von Karlheinz Weißmann

Heiner Kappel ist nicht zum Vorsitzenden der Freien Demokraten gewählt worden – erwartungsgemäß, wird man sagen müssen. Als einziger Gegenkandidat zu Parteichef Wolfgang Gerhardt erhielt er auf dem FDP-Parteitag am vergangenen Wochenende in Wiesbaden gerade 64 der 647 abgegebenen Stimmen. Das war mehr, als man aufgrund der personellen Schwäche der von Kappel, dem Berliner Alexander von Stahl und dem nordrhein-westfälischen FDP-Mann Achim Rohde geführten "Liberalen Offensive" erwarten durfte, aber es war nicht genug, um auch nur als Achtungserfolg gewertet werden zu können. Die Rechts-, National- oder "Rationalliberalen" bildeten unter den Delegierten der Partei eine Minderheit und sind gegenwärtig nicht einmal in der Lage, Proteststimmen für sich zu gewinnen. Eher scheint es so, als ob die Führungsgruppe der FDP weiter ganz unangefochten bleibt und die beiden Hauptströmungen der Partei, Genscheristen und "Freiburger", neu erstarkt sind.

Die Sicherheit der Status-Quo-Fraktion bei den Liberalen hängt damit zusammen, daß der Impuls fast verschwunden ist, der etwa beim Mainzer Parteitag von 1995 eine so große Rolle spielte, als Land auf Land als Organisationsversuche für einen neuen rechten FDP-Flügel verunsicherten und schnell zusammengeflickte Analysen immer zum gleichen Ergebnis kamen: die Liberalen haben auf Dauer nur eine Chance, wenn sie sich rechts von der Union als bürgerliche Sammlungspartei mit Auslegern bis in die Arbeiterschaft etablieren.

Davon ist nichts geblieben. Das liegt zuletzt an der Person Kappels, dessen Integrität man nur bei ausgeprägter Böswilligkeit in Zweifel ziehen kann, dessen politische und rhetorische Begabung außer Frage steht und der bei den letzten Kommunalwahlen im heimatlichen Hessen mit einem überragenden Ergebnis unter Beweis stellte, wie gut man eine volksnahe und nachvollziehbare politische Haltung an den Mann bringen kann.

Wenn Heiner Kappel jetzt gegen den amtierenden Parteivorsitzenden antrat, dann war das in erster Linie als Memento gedacht. Welche Bedeutung ihm zukommt, wird die Zukunft zeigen, wenn in Gestalt der Bundestagswahl des kommenden Jahres das Urteil gefällt wird über die Politik des ewigen Zögerns und der gebrochenen Versprechen, die eine bürgerliche Koalition zu verantworten hat. Das Urteil wird die Union treffen, so oder so, aber für die FDP kann es ein Todesurteil sein.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen