© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/97  30. Mai 1997

 
 
"Junge Welt": Geschäftsführung und Redaktion booten sich gegenseitig aus
"Ihr habt nur Scheiße gebaut"
von Albrecht Eichsfelder

Wir wollen rein, wir wollen Pressearbeit machen!" – "Nein! Ihr kommt hier nicht rein! Ihr könnt doch gar keine Pressearbeit machen!" Tumult.

Gleich die erste Pressekonferenz der Redakteure der linksradikalen Tageszeitung Junge Welt (JW) gerät zum Skandal, gibt den wenigen anwesenden Journalisten eine Ahnung davon, wie tief die Gräben zwischen dem überwiegenden Teil der Redaktion um Chefredakteur Klaus Behnken und den Chefideologen Jürgen Elsässer einerseits und dem Geschäftsführer der Zeitung, Dietmar Koschmieder, andererseits bereits geworden sind. Beide Seiten können, das merkt man, ihren Haß, ihre Wut und ihre Enttäuschung auf die jeweils andere Seite kaum verbergen.

Koschmieder und die wenigen Redakteure, die noch zu ihm halten, bleiben jedenfalls aus dem Redaktionszimmer der JW ausgesperrt. Punktum. Unter lauten Rufen ziehen sie ab, zwei Stockwerke tiefer zum Verlag 8. Mai, wo sie Zuflucht gefunden haben und wo seitdem die Notausgabe der Zeitung produziert wird.

Richtungsstreitigkeiten haben in dem Blatt allerdings Tradition. Konkret-Herausgeber Hermann Gremliza hatte das Zentralorgan der DDR-Staatsjugend FDJ im Mai 1994 vor dem drohenden Konkurs gerettet. Bereits damals war die Auflage des Blattes von ehedem 1,5 Millionen auf 30.000 geschrumpft. Gremlizas neuer Kurs – antinationale Selbstbespiegelung und Holzhammersozialismus – begann insbesondere diejenigen mitteldeutschen Leser zu nerven, die nicht auch noch im Sportteil von dem 68er-Wessigedöns verfolgt werden wollten. Nach anfänglichen Erfolgen in der Abo-Werbung im Westen der Republik konnte jedoch auch Gremliza nicht verhindern, daß weit mehr Leser absprangen als neue dazukamen. Er hatte seiner neuen Akquisition ein Jahr Probelauf gegeben. Dann wollte man weitersehen.

Zunächst krempelte Gremliza den ganzen Laden um. In den Redaktionssitzungen hagelte es vernichtende Blattkritiken. Den "Ossis" in der Redaktion wurde klargemacht: "Ihr habt hier nur Scheiße gebaut". Der par ordre de mufti aus Hamburg eingeflogene Chefredakteur Oliver Tolmein, ebenfalls ein Produkt des Hauses Konkret, "scheiterte grandios". Vielmehr als das von Gremliza veranschlagte Jahr wurde es daher tatsächlich nicht. Bereits im Frühjahr 1995 schlossen sich die Pforten des Alt-Zentralorgans. Der Untergang schien perfekt.

Da begann der damalige Betriebsrat und heutige Geschäftsführer der JW, Dietmar Koschmieder, am 13. April 1995 mit der Herausgabe der Zeitung. Mitarbeiter stellten Geld für die Anschubfinanzierung bereit. Koschmieder gründet später eine GmbH und zahlt aus privaten Mitteln 50.000 Mark ein. Es herrscht Aufbruchstimmung.

Doch auch Koschmieders Bilanz sieht nach zwei Jahren nicht rosig aus. Von 30.000 ist die Auflage unentwegt weiter gesunken. Zur Zeit liegt sie bei 13.000 Aboauflage und durchschnittlich etwa 2.500 verkauften Kioskexemplaren. Tendenz: rapide sinkend, denn auch die Abokampagnen laufen schlecht. Lag hier früher die Erfolgsquote bei 25 Prozent, so abonnieren zur Zeit nur noch 1,8 Prozent der Probeabonnenten später auch tatsächlich die JW. Zwar kommen inzwischen 40 Prozent der Leserschaft aus den alten Bundesländern, doch dürfte das eher mit massenhaften Abokündigungen (allein Januar bis April 1997: über 1.000) mitteldeutscher Leser zusammenhängen. Dem stehen ganze 48 Neuabos gegenüber. Keine besonders ermutigende Entwicklung.

Das mag auch Koschmieder selbst so gesehen haben. Er sieht dafür vor allem inhaltliche Gründe und trommelt am 15. Mai die Belegschaft zusammen, um einem erneuten Konkurs durch eine personelle Umbesetzung in der Chefredaktion entgegenzuwirken. Die Diskussion beginnt sachlich. Doch Jürgen Elsässer, sonst eher für seinen theorieschwachen Hau-ruck-Marxismus bekannt, spitzt die Frage recht bald auf den alten leninistischen Grundsatz "Wer – wen?" zu. Wer kündigt hier wem? Wer hat die Macht? Damit ist die entscheidende Frage gestellt. Denn Koschmieder hat dazu als Geschäftsführer das Recht. Doch was wird mit all den schönen Blütenträumen wie "selbstbestimmtes Projekt" und "Belegschaftszeitung", mit denen alle vor zwei Jahren angetreten waren?

Die Diskussion eskaliert. Plötzlich spüren alle, daß es in der JW auch nicht anders läuft, als in jedem x-beliebigen Betrieb, der darauf achten muß, daß er schwarze Zahlen schreibt. Und was ist mit der Unabhängigkeit der Redaktion? Not kennt kein Gebot, meint Koschmieder. Daß die wirtschaftlichen Zahlen so schlecht sind "hat auch – und wahrscheinlich vor allem – inhaltliche Gründe". Das habe damit zu tun, daß es in der Redaktion "mittlerweile dominierende Linien einerseits und Positionen andererseits, die nahezu ausgegrenzt sind" gebe. Die einen seien "die Stars und die anderen die Deppen".

Die Situation gerät außer Kontrolle: Wüste Beschimpfungen, Telefonterror die ganze Nacht. Ein rückwärtsgewandter DDR-Nostalgiker sei Koschmieder. Ein "Hausblättchen" der Kommunistischen Plattform oder des Marxistischen Forums der PDS wolle das DKP-Mitglied Koschmieder machen. Der größte Teil der Redaktion solidarisiert sich mit Behnken, der entlassen werden soll, und besetzt die Redaktionsräume. Einzig der stellvertretende Chefredakteur Holger Becker, Auslandschef Werner Pirker und Redakteurin Ulrike Schulz wollen bei Koschmieder bleiben. Diese hatten sich in letzter Zeit darüber beklagt, in der JW würde ausgesprochenen Minderheitenthemen wie Antifa, Rassismus und Feminismus zu viel Platz eingeräumt werden, während die Themen des "PDS-Mannes von der Straße" unberücksichtigt blieben. Becker, der noch jüngst in konkret meinte, die These Ernst Jüngers, Diktatur verfeinere den Stil, sei nicht rundweg abzulehnen, hatte die Antifa als "Anti-8x4" verhöhnt. "Volkstümelei", nennt das Elsässer – und seine antinationale Fraktion – und wittert gar "Nationalbolschewismus". Verwerflich vor allem wegen des ersten Wortbestandteils. "Der Putsch des Geschäftsführers soll das Übergewicht einer antifaschistischen und antinationalen Fraktion der JW beenden", barmt denn auch Elsässer in der von der Redaktion herausgegebenen Jungle World.

Das dürfte wohl kaum den Kern der Sache treffen. Die Gruppe um Koschmieder ist nicht weniger links und nicht weniger antifaschistisch und was dergleichen wortreiche Charakterisierungen mehr sind, als die um Elsässer. Und wenn gar Worte wie "Nationalrevolutionär" oder "Nationalbolschewist" fallen, dann ist dies nichts weiter als eine Variante des guten altbekannten

Faschismuskeulenspiels, von dem Koschmieder-Verteidiger Wiglaf Droste einst treffend behauptet hat: "Wer zuerst ’Faschist’ sagt, hat gewonnen." Eine Keule, die die Linken zur Abwechslung einmal selbst zu spüren bekommen.

Inzwischen scheinen alle Vermittlungsversuche gescheitert, unter anderem durch den DDR-Wirtschaftshistoriker Thomas Kuczynski. Übervater Gremliza, auf den sich alle hätten einigen können, liegt zur Zeit schwer erkrankt in einer Klinik und ist damit nicht verfügbar. Die JW mußte auch ihr Layout ändern. Der Gestalter, Christoph Krämer von der Rowohlt-Werbung, zog seine bisher kostenlos überlassenen Nutzungsrechte aus Solidarität mit der Redaktion zurück.

Wie immer die Zukunft der Jungen Welt auch aussehen mag – falls sie eine hat –, sie wird das bleiben, was sie ist: ein linksradikales Blatt, entweder mit Schwerpunkt auf dem autonomen Antifa- oder wahlweise dem orthodox-marxistischen Spektrum. Ein Massenblatt wie zu FDJ-Zeiten wird sie damit (Gott sei Dank) nicht werden.


 
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