© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/97  23. Mai 1997

 
 
DDR-Vergangenheit: Höppners Sirenengesänge
Märchen-Erzähler
Meinungsbeitrag
von Ulrich Schacht

Das Bundesland Sachsen-Anhalt wird seit dem 21. Juli 1994 von einem rot-grünen Minderheitskabinett regiert, dessen Wohl und Wehe von nichts anderem als der Tolerierung durch die PDS-Fraktion des Magdeburger Landtages abhängt, die sich jedoch zugleich vor allem den finanziellen Wonnen des Oppositions-Status’ hingibt und deshalb kalkuliert ahnungslos ist, wenn es um die wirkliche Politik des Landes und ihren Einfluß darauf geht.

Das Konstrukt ist – neutral gesprochen – machttechnisch so einmalig in Deutschland, daß sich seit einiger Zeit auf Anrufung der CDU hin das Landesverfassungsgericht mit dem ominösen Kasus und seiner zwielichtigen politischen Dimension befaßt. Auf das Ergebnis der Befassung gespannt dürfte vor allem der von dem Magdeburger Herrschaftskonstrukt politisch wie kein Zweiter abhängige und profitierende Chef der Landesregierung sein: der 1948 geborene SPD-Politiker Reinhard Höppner.

Höppner, ein studierter und promovierter Mathematiker, stammt aus einem evangelischen Pfarrhaus und war zu DDR-Zeiten Mitglied der Leitung der Kirchenprovinz Sachsen, ab 1980 sogar Präses ihrer Synode. Mit der Wende im Herbst 1989 begann Höppners politische Karriere; seine kirchenparlamentarischen Erfahrungen kamen ihm dabei außerordentlich zugute. Im Dezember 1989 trat er der SPD bei. Am 14. Oktober 1990 schließlich zog er in den sächsisch-anhaltinischen Landtag ein: als Fraktionsführer der SPD, aber eben auch als geschlagener Spitzenkandidat seiner Partei. Sein Traumziel, als Chef der Magdeburger Staatskanzlei in die Hegelstraße 42 einzuziehen, war damit – in vorgezogener dialektischer Anti-These – zunächst zum Trauma geworden. Doch seit nun fast drei Jahren träumt der schmalgliedrig-blasse Intellektuellentyp mit Grundausbildung in protestantischer Lebensführungskunst à la "Kirche im Sozialismus" seinen Traum von einst als These des Praktischen von heute. Vergessen ist dabei die Wahlabendvision einer Großen Koalition. Denn am Morgen danach hatten interne und externe SPD-Kreise längst begriffen, daß hier ein koalitionspolititscher Prototyp – wurzelnd in der 70er-Jahre-Vision von der "linken Mehrheit" – in den regionalen Probelauf gehen konnte.

Den sofort zu hörenden Vorwürfen von Bürgerrechtlern und Christdemokraten, nur wenige Jahre nach dem Zusammenbruch der SED-Diktatur würde damit deren Nachfolgeorganisation, die PDS, langsam, aber sicher wieder an die Macht gebracht, begegnete Höppner kühl mit dem Hinweis auf die politisch-soziale Not im kleinen, nur in der Arbeitslosigkeit großen Lande, die es fernab aller ideologischen Verbohrtheiten endlich anzupacken gelte. Hinzu käme, daß die PDS die Regierung zwar tolerieren würde, nicht aber unterminieren könne.

Jahre nach dem Beginn dieser schönen Liebesgeschichte aus hoher Not gibt es aber doch ein paar handfeste Indizien, die die Dauermeldung vom angeblich selbstlos funktionierenden Magdeburger "Toleranz-Edikt" im Interesse der Menschen in den Bereich jener Text-Gattung rücken, die in der Literatur "Märchen" genannt wird und in der Politik Demagogie.

Genauer: Es liegt eine öffentliche Rede des Ministerpräsidenten Reinhard Höppner vor, die dieser kürzlich auf einem rechtspolitischen Kongreß der Friedrich-Ebert-Stiftung hielt. Daß Höppner in dieser Rede die Mutation des Rechtsstaates Bundesrepublik Deutschland zu einer Art Verrechtlichungs-Gelände beklagt, in dem sich kein normaler Mensch mehr zurecht finde, das hat er auch mit diversen Invektiven zum Thema von Helmut Schmidt und anderen gemeinsam. Und daß er noch einmal darauf hinwies, "daß die meisten gelernten Bundesbürger von den Verhältnissen in der DDR keine Ahnung haben", ist im Prinzip auch nicht falsch.

Aber Höppner nutzt solche Wahrheiten letztlich nur, um dann forsch im Ton eines vollkommenen PDS-Relativismus, was die SED-Diktatur betrifft, zu behaupten: "Die DDR wird heute sehr schnell global und undifferenziert als Unrechtsstaat bezeichnet... Daß in der DDR Unrecht geschehen ist, wird niemand bezweifeln. Aber reicht das aus, diesen Staat zu charakterisieren? Wer wollte unterstellen, daß es in der ehemaligen Bundesrepublik kein Unrecht gegeben hätte? Ab wieviel Unrecht ist ein Staat ein Unrechtsstaat?"

Wenn Höppner an dieser Stelle wirklich Probleme oder auch nur wahrhaftige Fragen auf dem Herzen hätte, könnte er ganz schnell fündig werden, was Opferzahlen betrifft oder Tötungsdelikte an Mauer und Todesstreifen, wieviel politische Prozesse es zwischen 1949 und 1989 in der DDR gegeben hat und wieviele Verurteilungen aus politischen Gründen – von den überbekannten Kaderzahlen des MfS und seinen in die Hunderttausende gehen Spitzeldivisionen ganz zu schweigen. Was also fehlt dem Ministerpräsidenten zu Magdeburg tatsächlich, um zu einer seriösen – weder die Opfer der SED beleidigenden noch den Charakter des deutschen Rechtsstaates denunzierenden – klaren Summe unter dem Strich der SED-Diktatur zu kommen? Ganz einfach: Eine saubere Mehrheit im Landtag. Und so muß die schmutzige weißgewaschen werden.

Bei dem Beitrag handelt es sich um eine gekürzte Fassung aus der Zeitschrift "Gegengift", 85276 Pfaffenhofen


 
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