© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/97  16. Mai 1997

 
 
Student als Vorbild
Kommentar
von Dieter Stein

Dieses Wochenende tagen in Coburg der "Coburger Convent" und am folgenden in Jena die "Deutschen Burschenschaft". Neben diesen beiden großen Dachverbänden gibt es noch eine Vielzahl von unter weiteren Dachverbänden zusammengeschlossene Korporationen in denen sich meist bunte Mützen- und Bänder tragende, überwiegend männliche Studenten organisieren.

Zunehmend erscheint das ganze Drumherum, die Uniformen, das Auftreten, die Inhalte für Außenstehende anachronistisch und rührend. Bierernst wird in den Verbindungen deshalb schon seit längerem darüber gestritten, welche Rolle sie im Universitätsleben spielen können und welche Form sie dafür finden. Die einen fordern eine elastische Anpassung an den Zeitgeist: Schluß mit dem Kommiß-Kult, dem Schlagen (Zeremoniell, bei dem Studenten mit degenartigen Eisenschlägern in einer Mutprobe ihren Schneid unter Beweis stellen) und nationalen Bezügen. "Ehre, Freiheit, Vaterland" zitiert man eher genervt – ab damit in die Mottenkiste, so fordern viele. Der Gegenflügel jeder Korporation wird von Traditionalisten gebildet, die alles beim alten lassen wollen – "Stellung halten", heißt die Devise. Doch weder die eine noch die andere Position wird von den Kommilitonen sonderlich wahrgenommen, geschweige denn honoriert. Die Standardmeinung bei Durchschnittsstudenten ist: Verbindungsstudenten sind langweilig und spießig und finden sonst keinen Anschluß. Eine "Kneipe" wird von Außenstehenden oft kaum prickelnder als ein Kegelabend erlebt, die Formen – vor Dekaden furchteinflößend – erscheinen inhaltsleer, oft albern, das Auftreten Korporierter wird als kaum gehobelter als dasjenige nichtfarbentragender Studenten angesehen.

Dabei haben die Verbindungen eine Chance, die sie wahrnehmen könnten: Sie können eine Avantgarde an den Universitäten sein. Das Prinzip der Selbsterziehung ist revolutionär. Es ist eine solidarische Absage an die anonyme Universität, die eine Masse verwaltet, statt Individuen zu fördern. Der Korporierte verkörpert für manche ein Zerrbild nach Heinrichs Manns "Untertan": der verklemmte, komplexbeladene Waschlappen, der Halt in einem Saufklub von Angebern sucht. Im besten Fall ist er aber ein selbständiger, an Haltung vorbildlicher Student, der für seine in aller Regel konservativen Auffassungen mit offenem Visier eintritt und damit Menschen für bewahrenswerte Werte gewinnt. Einer dieser Werte ist auch die lebenslange Verbundenheit von Akademikern mit ihrer Alma Mater: eine in angelsächsischen Ländern selbstverständliche Alumni-Kultur, die hierzulande eben die Verbindungen pflegen. Das kann den Universitäten nur recht sein.


 
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