© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/97  16. Mai 1997

 
 
Sudetenfrage: Fragwürdige Versöhnung
Herzogs Canossagang
Meinungsbeitrag
von Otto Eberhard

Im Jahre 1077 unterwarf sich Kaiser Heinrich IV. der Römisch Katholischen Kirche im Dorf Canossa. Vor einigen Tagen im Jahre 1997 hieß Kaiser Heinrich IV. Roman Herzog, Bundespräsident der BRD, das Dorf Canossa hieß Prag und die Unterwerfung vollzog sich diesmal mit Rücksicht auf "Die friedliebende EU Gemeinschaft aller Europäischen Völker unter dem Schutzschirm der NATO". Darunter ist die Oberbehörde Wall-Street als EU-Macher und das militärische Oberkommando der amerikanischen NATO-Truppen als Aufpasser in Europa zu verstehen. Was ist aber wirklich vor einigen Tagen in Prag geschehen? Mit seiner Erklärung hat Bundespräsident Roman Herzog vor den Vertretern der Tschechischen Regierung und beinahe leeren Bänken im Ladislaus-Saal am Hradschin die Sudentendeutschen verraten. Er hat den Raub im Sudentenland 1945, er hat die Vertreibung der 3,5 Millionen aus ihrer Heimat und er hat den Mord an 241.000 Zivilisten legalisiert und dafür den Tschechen den Freibrief erteilt und alles Gute für die Zukunft gewünscht. Er hat darüber hinaus die Sudetendeutschen ermahnt und aufgefordert, den Mördern von 1945 friedliebend, verzeihend und offenherzig die Hand zu reichen und mit ihnen tatkräftig eine gemeinsame Zukunft zu gestalten.

Etwas hat dieser BRD-Bundespräsident Roman Herzog vergessen: Die Sudentendeutschen aufzufordern, den Tschechen gegenüber zu erklären, daß der Raub, Mord und Totschlag 1945 gerecht war, daß sich die Sudetendeutschen dafür schämen, wie fleißig sie selbst, ihre Eltern und Vorfahren das Sudetenland jahrhundertelang erfolgreich bewirtschaftet und gepflegt haben, und daß sie das Land schon lange vor 1945 den Tschechen hätten schenken sollen, nachdem dieses Land angeblich rechtlich und mit allen unmöglichen Begründungen ihnen sowieso gehört. Herr Bundespräsident Roman Herzog hat selbstverständlich nicht vergessen, alle ausgesprochenen Forderungen und Mahnungen zu begründen. Er zeichnete getreu der seit 1945 entfesselten Propagandamaschinerie ein Horrorbild der Leiden der Tschechen in den Jahren 1939 bis 1945.

Wer in dieser Zeit vor Ort war, wird andere Berichte liefern können. Daß zum Beispiel die tschechische Waffenindustrie gerade während des Zweiten Weltkrieges die höchsten Produktionszahlen hatte, ist statistisch eindeutig erwiesen. Leidende und zu Tode gepeinigte Arbeiter standen sicher nicht hinter den Werkbänken der auf Hochtouren laufenden Waffenschmiede. Das alles weiß Herr R. Herzog als Bundespräsident des "Freiesten Deutschen Staates", den es je gegeben hat (das sagt man laut), allerdings mit bewaffneten Besatzungstruppen der Sieger von 1945 im Land (das wird verschwiegen) nicht. Weil ein deutscher Bundespräsident nur das wissen darf, was in die heutige Geschichte hinein paßt. Somit bleibt den schon schwer geprüften Sudetendeutschen vorläufig nichts anderes übrig, als die Schläge einzustecken und zu hoffen, daß einmal bessere Zeiten kommen.

Im folgenden wird nur kurz angeführt, was gerne von den offiziellen Stellen festgestellt wird, wenn von Volksgruppen die Rede ist, die 1945 schwer zu Schaden gekommen sind, und diese eine Form von Gerechtigkeit verlangen. Die Antwort lautet dann: "Die Vergangenheit muß vergessen werden, wir schauen nach vorne, wir blicken in die Zukunft". Damit ist der Vorhang gefallen. Daß der Mensch außer dem Bestreben nach einem fetten Bauch noch andere Bindungen, Vorstellungen, Ziele, Sehnsüchte, Heimatgefühl und noch mehr hat, dürfte den Verantwortlichen unbekannt sein. Aber kein Wunder: Die laufende Informationsmaschinerie und die manipulierten Medien haben das Hirn der Massen offenbar geschädigt.

Der tschechische Präsident Havel hat in seiner Rede vor dem Bonner Bundestag einigermaßen zynisch erklärt: "So wie das heutige Deutschland nicht in der Lage ist, die Zehntausende tschechischer NS-Opfer ins Leben zurückzurufen und uns in die Zeit vor 1938 zurückzuführen, wo Tschechen Juden und Deutsche bei uns zusammen lebten,so wenig kann die heutige Tschechische Republik den vertriebenen Deutschen ihr altes Zuhause zurückgeben". Er übersieht dabei wohl absichtlich, daß für die Opfer des NS-Regimes vielfach gesühnt wurde und heute noch wird, daß jedoch Tschechien keinerlei Anstalten macht, den vertriebenen Sudetendeutschen in Hinblick auf deren Vermögensansprüche entgegenzukommen. Zu unrecht geraubte Häuser, ein "altes Zuhause" eben, kann man nämlich sehr wohl zurückgeben. Ebenso verhält es sich mit Grundstücken und Landbesitz. Den Tschechen fehlt aber in Wahrheit der gute Wille. Die Regierung der BRD hat schon vor Jahren die Ostpreußen, Westpreußen, Pommern und Schlesier verraten und ihr Land verkauft, indem sie die jetzige Ostgrenze anerkannt hat. Sie hat Milliarden Stützungsgelder und nicht rückzahlbare Darlehen in die marode Wirtschaft dieser Besatzerstaaten hineingepumpt, und sie verfolgt rücksichtslos diesen Kurs weiter. Diesmal mußten die Sudetendeutschen niedergeknüppelt werden. Herr Bundespräsident Roman Herzog hat in Prag verbal ganze Arbeit geleistet. Der Vergleich mit dem Gang nach Canossa ist ein Teil der Geschichte nach 1945.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen