© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/97  16. Mai 1997

 
 
Demagogie statt Aufklärung: Medien lassen sich immer öfter instrumentalisieren
Journalismus als tägliche Kampagne
von Peter Müller

Kritiker des postsozialistischen Zeitgeistes lieben es – meist unter Hinweis auf die Thesen des Kommunisten Antonio Gramsci – zu betonen, daß im Zuge des "Langen Marsches" durch die Institutionen die kulturelle Hegemonie von den Linken errungen wurde. Das griechische Wort "hegemonia" beschreibt dem ethymologischen Wörterbuch zufolge den militärischen Begriff "Oberbefehl". Seit die Linke den Oberbefehl über die öffentliche respektive veröffentlichte Meinung errungen hat, hat die jährliche Skandaldichte sprunghaft zugenommen. Daß die Mehrheit der Journalisten dem linken politischen Spektrum zuzuordnen ist, ist mittlerweile mehrfach empirisch beschrieben worden. Seit dem zunehmenden Milieuzerfall arbeiten die Journalisten gewissermaßen im luftleeren Raum. Die öffentliche Meinung ist längst nicht mehr Ausdruck der Meinung des Volkes.

Heute sind paranoide Faschismusverdächtigungen Grund genug, um lauthals "Skandal!" zu brüllen. Die Behauptungen, die öffentliche Meinung entspreche nicht zwangsläufig der Volksmeinung, die öffentliche Meinung sei ein künstlich hergestelltes Phänomen, das zum Konformismus zwinge (Schweigespirale) und in erster Linie der Legitimierung von Interessen diene, scheinen durchaus haltbar zu sein. Staatszersetzend wird die Intervention selbsternannter Tugendwächter dadurch, daß sich die wichtigen gesellschaftlichen Säulen Politik, Wissenschaft und Medien – deren Freiheit das Grundgesetz normiert –, und Wirtschaft offenbar kampflos den Gängeleien des Zeitgeistes fügen. Die Politik ist aufgrund der zunehmenden Mediatisierung der Wahlkämpfe naturgemäß anfällig für jegliche Art des Kampagnenjournalismus. Spätestens seit der Kandidatur Steffen Heitmanns für das Amt des Bundespräsidenten und dem damit einhergehenden publizistischen Sturmgewitter ist bekannt, daß Journalisten Politik auf höchster Ebene maßgeblich mitbestimmen.

Als sich der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Günter Reichert, Ignatz Bubis gegenüber im vergangenen Jahr einen ausgesprochen dämlichen Fauxpas leistete, schlug der Kampagenjournalismus unerbittlich zu. PDS, Grüne und Stern spielten sich dabei in bewährter Routine gegenseitig die Bälle zu. Reicherts Karriere fand nur deshalb kein vorzeitiges Ende, weil er sich in seiner Stellungnahme zum Vorfall auf die Frage des Stern (Nr. 24/96) "Dummkopf oder doch ein rechter Provokateur?" politisch korrekt für das erstere entschied.

Vor zehn Jahren bekam die Freiheit der Wissenschaft im "Historikerstreit" die ersten Schläge mit der Faschismuskeule zu spüren. Heute stört es freilich nur noch eine Minderheit, daß Wissenschaftler wie der Bonner Politologie Hans-Helmuth Knütter im öffentlich-rechtlichen Fernsehen mittels linker und linksextremer Seilschaften diffamiert werden können. Linksextremen Journalisten wie Anton Maegerle alias Gernot Modery wird von anerkannten Leitmedien wie den Tagesthemen (6. Juni 1996) gar eine Plattform geboten, um sich als Hüter der Verfassung zu gerieren.

Wie es um die Freiheit im Medienbereich aussieht, zeigen auch die Vorgänge um Ansgar Graw, der als Referent für ARD- und Gremienfragen direkt dem Intendanten des SFB, Günter von Lojewski unterstellt ist. Graw geriet unter falschem Namen ("Ansgar Graf") in ein Protokoll des Staatsschutzes, der die extremistischen Umtriebe in Berlin überwachen soll. Die linken Autoren des Buches "Rechtsschreiber" zitierten aus diesem vertraulichen Protokoll. Graw mußte kurz vor Auslieferung des Machwerkes gerichtlich eine Schwärzung der Passagen erwirken (die JF berichtete). Daß sich nicht nur die taz, aus deren Reihen sich zwei der drei Autoren des Buches rekrutieren, sondern auch vermeintlich seriöse Zeitungen wie der Tagesspiegel und die Süddeutsche Zeitung Graw verleumden, zeigt, wie es um das geistige Klima in unserem Land steht. Der Leitsatz "in dubio pro reo" gilt schon lange nicht mehr für die Medien. Dieter Stein hat anläßlich des Konkursverfahrens der kritischen Monatszeitung Transparenz der Medien kommentiert, daß "das bürgerliche konservative Lager in Deutschland an seiner unsolidarischen Mentalität" ersticke. Solidarität mag in einer vom Wettbewerb gekennzeichneten Gesellschaft noch nicht einmal erwartet werden. Aber wenn sich Großkonzerne öffentlich nicht nur von den in keiner Weise demokratisch legitimierten Censores unserer Tage zum Narren machen lassen und sich gegen die eigenen Interessen aussprechen, muß dies bedenklich stimmen. Seit der Brent Spar-Kampagne, die von Agitation und Pseudomoral seitens Greenpeace gekennzeichnet war, müssen sich die Angestellten der Deutschen Shell AG im Rahmen eines neuen Verhaltens-Codicis nach einem internen Schema regelmäßig für ihre Taten verantworten. Shell-Deutschland konstatierte nach dem PR-Gau "Brent Spar": "Es wird dringend notwendig sein, die Instrumentarien und Methoden der konventionellen Öffentlichkeitsarbeit zu überdenken und gezielt auf systembedingte Zwänge der Medienlandschaft einzugehen." Shell-Deutschland empfiehlt damit, die Hüter der Political Correctness gleichwertig mit demokratisch gewählten Politikern zu behandeln. Die Öffentlichkeitsarbeit des Großkonzerns soll offenbar so ausgerichtet werden, daß zugunsten einer positiven Berichterstattung, seitens linker Journalisten, Kompromisse mit den politisch korrekten Gutmenschen geschlossen werden. Daß der deutsche Journalismus von linken und linksextremen Seilschaften charakterisiert ist, wird ignoriert. Der Kapitalismus prostituiert sich für den Sozialismus. Die taz vom 20. März stellte fest: "Die niederländische Organisation ’Milieudefensie’ (Umweltverteidigung) und Greenpeace meinten (…) ’man wolle Shell auch künftig nicht aufgrund schöner Worte, sondern aufgrund des Verhaltens beurteilen’. Eine externe Organisation müsse ’die Umweltpolitik von Shell unter die Lupe nehme (sic!)’."

Wer Political Correctness zur wichtigsten Chiffre für Erfolg in der Öffentlichkeitsarbeit erhebt, muß sich nicht wundern, wenn der Zeitgeist über ihn kommt. Mit Pierre Gaxotte sei an den Vorabend der französischen Revolution erinnert. Anläßlich der Erstaufführung der Hochzeit des Figaro bemerkte er: "Wenn die Aristokraten diejenigen beklatschen, von denen sie bildlich gehängt werden, so ist vorauszusehen, daß es nicht lange dauern kann, bis sie wirklich am Galgen baumeln werden."


 
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