© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/97  16. Mai 1997

 
 
Naturschutzpark Unteres Odertal: Auenlandschaft im deutsch-polnischen Grenzgebiet
Wo Kraniche zur Rast einladen
von Hans Leininger

Die heutige Grenze zwischen Deutschland und Polen entlang der Oder und der Neiße erstreckt sich über 467 Kilometer. An beiden Flüssen liegen wie auf einer Perlenkette aufgereiht, einzigartige Natur- und Kulturlandschaften, die sich links und rechts der beiden Flüsse über das dünn besiedelte Grenzgebiet ausdehnen. Eines davon ist die Nationalparkregion Unteres Odertal. Dieser Flußabschnitt zwischen Hohensaaten und Schillersdorf hat eine Länge von rund 60 Kilometer und reicht fast bis vor die Tore Stettins.

Im Herbst 1992 wurde die bundesdeutsche Uferseite in das Gewässerrandstreifenprogramm des Bundesumweltministeriums aufgenommen. Im Rahmen dieses Programms stehen aus Bundes-, Landes- und Mitteln des Vereins der Freunde des Deutsch-Polnischen Europa-Nationalparkes bis zum Jahr 2006 insgesamt mehr als 56 Millionen Mark zur Verfügung. Der größte Teil des Geldes dient für den Landerwerb. Mit der Verabschiedung des Nationalparkgesetzes durch den Brandenburger Landtag im Sommer 1995 sind etwa 1.100 des insgesamt 9.500 Hektar großen Schutzgebietes als Totalreservat ausgewiesen worden. Dieses Totalreservat soll in den nächsten 15 Jahren auf insgesamt 50 Prozent der Gesamtfläche ausgeweitet werden.

Durch die abgelegene Grenzsituation hat sich im Unteren Odertal eine einzigartige Auenlandschaft erhalten, wie sie nirgendwo sonst in Mitteleuropa mit derart großen natürlichen Überflutungsräumen existieren. Neben der zwei bis vier Kilometer breiten Flußaue, die von zahlreichen Altarmen durchzogen ist, gehören zu dem Nationalpark auch wertvolle Wälder und artenreiche Trockenwiesen. Von Vorteil für die natürliche Entwicklung der Region hat sich die Grenzsituation erwiesen, denn die Landschaft beiderseits der Oder wurde kaum verbaut, so daß die Auenlandschaft weitgehend erhalten geblieben ist. Vor allem auf östlicher Seite, im Landschaftsschutzpark Zehden und Landschaftsschutzpark Unteres Odertal, wurde das Poltersystem, das durch Kriegseinwirkungen zerstört worden war, nicht wieder hergerichtet, so daß in den letzten 50 Jahren eine vom Menschen weitgehend unbeeinflußte Renaturierung vonstatten gehen konnte.

Umfangreichen Kartierungsarbeiten haben ergeben, daß das untere Odertal sich zu einem der artenreichsten Lebensräumen Deutschlands entwickeln konnte. Es bietet das ganze Jahr über den unterschiedlichsten Pflanzen und Tieren optimalen Lebensraum: Von Seerosen bedeckte Altwasser gehören ebenso dazu wie bunte Feuchtwiesen, auf denen die verschiedensten Schnepfenvögel geeignete Brutplätze finden. Daneben existieren urwüchsige Auwaldreste und auf den Oderhängen naturnahe Laubmischwälder, die zu den wertvollsten Beständen in Brandenburg gehören. Eine Besonderheit stellen die überaus artenreichen und das ganze Sommerhalbjahr hindurch bunt blühenden Trockenrasen dar. Hier finden viele Pflanzen- und Tierarten der Steppenzone ihre nordwestliche Verbreitungsgrenze. Als Feuchtgebiet von internationaler Bedeutung waren große Teile der Überflutungspolder schon lange vor der Nationalparkgründung wegen der außerordentlich reichen Wasservogelwelt unter internationalen Schutz gestellt worden. Vor allem während der Zugzeiten sammeln sich allein bis zu 150.000 Gänse, Enten, Schwäne und über 3.000 Kraniche im Unteren Odertal. Mehr als 120 Vogelarten brüten im Nationalpark, darunter See-, Fisch- und Schreiadler, viele Weißstörche, der seltene Schwarzstorch sowie die weltweit vom Aussterben bedrohten Seggenrohrsänger und Wachtelkönige, so daß der Nationalpark zu allen Jahreszeiten vielfältige Anreize für einen Besuch der Grenzregion bietet.


 
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