© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/97  16. Mai 1997

 
 
Wahlen in Polen: Die Aussichten der deutschen Kandidaten
"Alle Landsleute müssen wählen!"
Interview mit Leo Stosch

Im kommenden Herbst wird in der Republik Polen gewählt. Wird die deutsche Volksgruppe erneut mit eigenen Listen an der Wahl teilnehmen?

STOSCH: Wir planen wieder, in dem einzigen Oppelner Wahlbezirk und in zwei der drei Kattowitzer Wahlbezirke, im Raum Gleiwitz sowie im Raum Ratibor mit einer eigenen Liste anzutreten.

Und was ist mit einer Kandidatur im südlichen Ostpreußen?

STOSCH: Diese Überlegung liegt nahe, da auch dort noch eine größere Zahl von Deutschen lebt. Immerhin zählen die deutschen Vereinigungen im südlichen Ostpreußen über 17.000 Mitglieder. Die Volksgruppe lebt jedoch auf drei Wahlbezirke verteilt, so daß praktisch keine Chance besteht, in einem dieser Bezirke genug Stimmen auf einen deutschen Kandidaten vereinen zu können. Wir hoffen in diesem Gebiet auf eine Unterstützung durch eine polnische Partei, die Demokratische Union, mit der unsere Sejmabgeordneten bisher in Warschau gut zusammengearbeitet haben. Wir werden allen Landsleuten in den drei entsprechenden ostpreußischen Wahlbezirken empfehlen, diese Partei zu wählen, sofern die Demokratische Union als Gegenleistung einem Kandidaten der deutschen Volksgruppe im südlichen Ostpreußen einen sicheren Listenplatz anbietet.

Auf der anderen Seite gibt es ja auch starke politische Kräfte in der Republik Polen, die verhindern wollen, daß dem künftigen polnischen Sejm wieder deutsche Abgeordnete angehören?

STOSCH: Ja, auf Betreiben des Oppelner Abgeordneten des linken Regierungsbündnisses SLD haben immerhin 53 Sejmabgeordnete einen Antrag gestellt, wonach Parteien der Minderheiten in der Republik Polen in Zukunft nicht mehr von der Fünf-Prozent-Klausel befreit werden sollen (s. JF 18/97, S. 8). Dies richtet sich in erster Linie gegen die Deutschen als zahlenmäßig stärkste Minderheit, denn nur uns ist es bisher überhaupt gelungen, eigene Kandidaten in den Sejm zu wählen. Das oberste polnische Gericht in Warschau hat diesen Antrag jedoch inzwischen abgelehnt, so daß wir weiterhin gute Chancen haben, mit entsprechenden Stimmenanteilen einzelne deutsche Kandidaten in den oberschlesischen Wahlkreisen durchzubringen, auch wenn wir natürlich landesweit unter der Fünf-Prozent-Hürde bleiben werden.

Von offizieller polnischer Seite ist immer wieder zu hören, daß die Wahlen in diesem Herbst – wahrscheinlich im September – stattfinden sollen. Steht das genaue Datum bereits fest?

STOSCH: Nein, bisher ist weder der Wahltermin noch die Wahlordnung bekanntgegeben worden. Fest steht nur, daß im kommenden Herbst gewählt werden soll.

Waren Sie denn mit der bisherigen Wahlordnung zufrieden?

STOSCH: Meine Kritik richtet sich vor allem gegen die bisherigen Modalitäten der Wahlen zum Senat, der zweiten Kammer des polnischen Parlaments, die gleichzeitig mit den Sejmwahlen stattfinden. Nach der bisherigen Wahlordnung können für jede Wojewodschaft in der Regel zwei Senatoren gewählt werden, wobei etwa 150.000 Wähler auf einen Senator entfallen. Nur die Woje-wodschaften Warschau und Kattowitz können drei Senatoren entsenden, weil diesen bevölkerungsreichen Bezirken auf eine Million Wähler ein Senator zuerkannt wird, was bei drei Millionen Einwohnern des Bezirks Kattowitz dann drei Senatoren entspricht. In der Praxis führte dies aber dazu, daß bei den letzten Wahlen Kandidaten in Oberschlesien nicht in den Senat gewählt wurden, obwohl sie ein Vielfaches an Stimmen von dem Ergebnis erreichten, mit dem in anderen Regionen Senatorensitze errungen werden konnten. So erzielten zwei von den Deutschen Freundschaftskreisen unterstützte Kandidaten der "Bewegung für die Autonomie Schlesiens" hervorragende Wahlergebnisse – Kolodzieiczyk bekam über 155.000 und Wieczorek knapp 150.000 Stimmen –, ohne einen Senatorensitz erringen zu können, während in anderen Regionen gewählte Senatoren in drei Fällen weniger als 30.000 Stimmen aufzuweisen hatten.

Stehen die Kandidaten der deutschen Volksgruppe schon fest?

STOSCH: Bisher nicht, denn wir können unsere Nominierungen erst vornehmen, wenn die Wahlordnung vorliegt. Ich gehe jedoch davon aus, daß die gegenwärtigen Amtsinhaber Heinrich Kroll, Helmut Paisdzior, Joachim Czernek und Roman Kurzbauer sowie Senator Gerhard Bartodziej, der ja auch zugleich Präsident des "Verbandes der deutschen Gesellschaften in Polen" (VdG) ist, wieder antreten werden. In Ratibor hat zum Beispiel der frühere Sejmabgeordnete Willibald Fabian seine erneute Kandidatur angekündigt.

Wie beurteilen Sie die Chancen der deutschen Kandidaten bei den bevorstehenden Wahlen?

STOSCH: Es ist wichtig, daß sich möglichst alle unsere Landsleute an der Wahl beteiligen, auch diejenigen, die sich am Wahltag zum Beispiel nicht in der Republik Polen, sondern in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. In diesem Zusammenhang fordern wir, daß diese Landsleute auch in den dortigen polnischen Konsulaten die in ihrer Heimat kandidierenden deutschen Kandidaten und nicht nur die landesweit antretenden polnischen Parteien wählen können. In diesem Jahr ist mit einem harten Wahlkampf und einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem neuen, von der Gewerkschaft Solidarität ins Leben gerufenen Parteienbündnis auf der einen und den zuletzt so erfolgreichen Postkommunisten auf der anderen Seite zu rechnen. Dies könnte zu einer hohen Wahlbeteiligung führen, was die Ausgangsposition für die deutschen Kandidaten verschlechtern würde. Um so wichtiger ist diesmal eine geschlossene Wahlbeteiligung der deutschen Volksgruppe.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen