© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/97  16. Mai 1997

 
 
Sudetendeutsche: Die deutsch-tschechische Erklärung spaltet statt zu versöhnen
Vertreibungen sind künftig legal
von Roland Schnürch

Ende August 1995 mahnte der tschechische Außenminister Zieleniec eine "Schlußpunkt"-Erklärung von Bonn an. Er "betrachte es als unerläßlich, daß gesagt wird, daß wir uns niemals wieder mit den juristischen und politischen Aspekten der Vergangenheit beschäftigen werden". In dieser Zielsetzung hat ihn seitdem die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Antje Vollmer, und nicht nur sie, nach Kräften unterstützt. In Ziffer 4 der Deutsch-Tschechischen Erklärung vom 21. Januar 1997 sagen dann auch prompt beide Seiten, "daß sie ihre Beziehungen nicht mit aus der Vergangenheit herrührenden politischen und rechtlichen Fragen belasten werden".

Frau Vollmer mag sich am Ziel ihrer Träume fühlen. Am 5. Oktober 1995 hatte sie in der Prager Karls-Universität einen Vortrag gehalten, der die üblichen falschen Bezüge zu den Vorgängen von 1918/1919 und 1938 enthielt. Ähnliches findet man in der Prager Rede von Bundespräsident Herzog am 29. April 1997.

Herzog wie Vollmer begreifen offensichtlich nicht die ungeheure Dimension der 1918 erfolgten Annexion rein deutscher Gebiete – mit der Fläche Belgiens und der Einwohnerzahl Irlands –– durch die sich bildende Fehlkonstruktion Tschechoslowakei. Sie wollen die Rückgängigmachung der Annexion kraft eines Notenwechsels von Großbritannien und Frankreich mit der Tschechoslowakei vom 19./21. September 1938 nicht wahrnehmen. Sie bewerten das Münchner Abkommen bewußt falsch, das tatsächlich nur die Durchführungsmodalitäten der schon beschlossenen Abtretung regelte, wobei die Tschechoslowakei mehr direkte und indirekte Einflußmöglichkeiten hatte, als die 1918/1919 völlig ausgeschalteten Sudetendeutschen. Und Herzog und Vollmer vermengen die völkerrechtlichen Regelungen des Herbstes 1938 mit der völkerrechtswidrigen Errichtung des Reichsprotektorats Böhmen und Mähren durch das Deutsche Reich im März 1939. Ähnliche Beurteilungsschwierigkeiten hatten Europas Politiker vor Jahren bei der Fehlkonstruktion Jugoslawien – zu Lasten der von einem eskalierenden Krieg betroffenen Menschen. Nach der Prager Rede Herzogs soll die NS-Gewaltpolitik im Protektorat den Boden für die Vertreibung bereitet haben. Diese falsche Kausalität wird auch in Ziffer 2 der Deutsch-Tschechischen Erklärung ausgesprochen. Sie gibt damit der tschechischen Seite eine Alibibegründung für die Vertreibung, die wesentlich stärker geschädigte Nationen – wie etwa das französische Volk – eben nicht angewandt haben! Es ist merkwürdig, daß das offizielle Bonn diese Widersprüchlichkeit nicht erkennen will oder zu begreifen vermag.

So gesehen kann man aber bestimmte Teile der an die deutschen Heimatvertriebenen gerichteten Entschließung des Deutschen Bundestages vom 28. Februar 1997 nur als rhetorische Pflichtübung begreifen, wenn es dort heißt: "Jeder Akt der Vertreibung ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Terrorisierung und Vertreibung von Gruppen … muß international geächtet und sowohl völkerrechtlich wie strafrechtlich geahndet werden." Nichts davon war zu hören in der Begrüßung durch Bundestagspräsidentin Süssmuth und der Rede von Präsident Havel am 24. April 1997 in Bonn. Statt dessen erging sich Václav Havel in philosophischen Betrachtungen des Wortes "Vaterland", das sinnigerweise die tschechische Präsidialkanzlei mit "Heimat" in der deutschen Fassung übersetzte. Schon 1994 hatte der Deutsche Bundestag mit der Zielsetzung einer internationalen Konvention gegen Vertreibung die Bundesregierung aufgefordert, "über die Durchsetzung des Rückkehrrechtes in die Heimat hinaus Möglichkeiten zu prüfen, wie Wiedergutmachungs- und Entschädigungsverpflichtungen der Vertreiber geregelt werden können". Wenn hier nicht wirklich die deutsche Seite schnellstens umdenkt, wird die in Bosnien-Herzegowina erfolgte Vertreibung ebenso sanktioniert werden wie künftige Verbrechen dieser Art. Ob Frau Vollmer dies wirklich will?

Nach bisherigen Informationen bemüht sich Vizepräsidentin Antje Vollmer um eine erneute Teilnahme am Sudetendeutschen Tag in Nürnberg. Vielleicht fördert dies ein Umdenken in letzter Minute. Auch die Vertreter der Bundesregierung, die Bundesminister Töpfer (CDU) und Waigel (CSU), haben bei ihren Grußworten vor den Überlebenden und Nachkommen der Vertreibung deutlichen Erklärungsbedarf. Beide haben am 30. Januar 1997 die Deutsch-Tschechische Erklärung in namentlicher Abstimmung gutgeheißen. Zu den dabei gehaltenen Reden schrieb FAZ-Herausgeber Johann Georg Reißmüller: "Die Bereitschaft zur Versöhnung ist nicht gebunden an das Einverständnis mit dieser in so vielem fragwürdigen Erklärung." Und noch eines möge sich alle in Bonn Verantwortlichen vor Augen halten: Auf der Strecke blieben die knapp Hunderttausend in der Heimat lebenden Sudetendeutschen. Als tschechische Staatsbürger zweiter Klasse wird ihnen jegliche Eigentumsrestitution versagt. Und sie spüren, von Bonn im Stich gelassen, die Häme der tschechischen Umwelt.

Roland Schnürch ist Vizepräsident der Bundesversammlung der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL) und Mitglied des Sudetendeutschen Rates.


 
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