© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/97  09. Mai 1997

 
 
AUNS-Tagung: Schweiz wird "EU" widerstehen
Wilhelm Tell lebt
Meinungsbeitrag
von Johanna Christina Grund

Ist es im Österreich dieser Tage nur Resignation wegen der nach dem Beitritt zur EU verlorenen Entscheidungsfreiheit oder äußert sich so der Neid auf Menschen, die innerlich und äußerlich frei geblieben und sich Brüssel nicht angepaßt haben? Immer, wenn ich meinen Schweizer Wohnsitz erwähne, höre ich selbst von EU-distanzierten Freunden: "Warte nur ein Weilchen, denn schon bald wird auch die Schweiz unterworfen sein." Mich erinnert das an eine Zeit meiner jungen Jahre, als Kommunisten oder ihre nützlichen Phantasten der ehemaligen DDR dem damaligen Leuchtturm West-Berlin ein baldiges Ende voraussagten. Es ist bekanntlich ganz anders gekommen.

Wer Bern am letzten April-Wochenende miterlebte, die 12. Ordentliche Mitgliederversammlung der "Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz" (AUNS) im Saal des Hotels National am Hirschengraben, und wer gleichzeitig aus täglichem Erleben die Stimmung im Land kennt, ahnt etwas von den Gefahren und Chancen, daß die Geschichte sich wiederholt. Die Schweiz, das "garstig Stachelschwein", wie die Achsenmächte im Zweiten Weltkrieg sie nannten, die "Insel der rückwärts gewandten Alleingänger" im Jargon der Euro-Turbos, wird die neue Herausforderung überstehen. Über 700 Aktivisten der AUNS füllten den Saal und drängten sich noch auf der Galerie, als SVP-Nationalrat Dr. Christoph Blocher den Standort dieser größten Bürgerbewegung der Schweiz gegen die EU mit aktuellem Bezug festlegte. Und sie kamen sehr rasch in Stimmung, weil Blocher als echter Volkstribun seine Zuhörer auf unnachahmliche Weise zu fesseln und mitzureißen versteht. Vor allem ist er berechenbar, und er ist außerdem ein Patriot, wie man ihn mitten in Europa kaum mehr findet. Für Menschen, die wissen, wie es unter dem Sternenkranz rundum zugeht, mußte dieser Kongreß unter dem Schweizer Kreuz wie Balsam auf die gepeinigte Seele wirken. Gerade erst waren die zweiseitigen Verhandlungen der Schweiz mit der EU in Brüssel wegen des Transitverkehrs trotz weitgehender eidgenössischer Zugeständnisse dem Abbruch nahe, da erklärte Blocher die Streitpunkte Verkehr, Personenfreizügigkeit und Forschung zu Themen, von denen allein die "Union" profitiere. "Die Schweiz", so Blocher", "kann sehr gut ohne diese Abkommen leben. Die riesigen Forschungsprojekte bringen uns nur außerordentlich kleinen Nutzen." Ein unbefriedigender Abschluß dieser Verhandlungen wird mit dem Referendum bekämpft werden. Dann zählte er auf, was die Schweiz seit 1992 alles ohne EWR- und EU-Beitritt erreicht habe – das Versicherungsabkommen, die Zertifizierung, die Mehrwertsteuer-Abrechnung, die Teilnahme am passiven Veredelungsverkehr in der "paneuropäischen Kumulation", die die Schweiz völlig gleichstellt, ein neu ausgehandeltes GATT-Abkommen und die Beseitigung der Hauptnachteile in den öffentlichen Ausschreibungen. Trotz Wirtschaftskrise rundum wird die Schweiz mit der Rezession besser fertig als alle ihre Nachbarn. Wer anderes behauptet, war nie in der Schweiz.

Die AUNS ist mittlerweile auf 25.000 Mitglieder angewachsen, und mit einer Kampfkasse von 2,6 Millionen Franken (21,5 Millionen Schilling) ausgestattet. Es geht ihr um die Bewahrung der geistigen Werte des Landes. Sie seien im Unterschied zur Zeit des Zweiten Weltkrieges weniger von außen, als vielmehr von innen bedroht, seitens der Regierung und des Parlaments. Hart ging Blocher mit dem Bundesrat ins Gericht, auch wegen des wachsweichen Verhaltens während der jüngsten Kampagne jüdischer Organisationen in den USA gegen die Schweiz. "Auch als kleines Land muß sich die Schweiz nicht jeden Dreck über den Kopf schütten lassen." Die Währungsunion der Europäischen Union löst in der Schweiz Spott aus. Wegen des Alleinganges hatten die Euro-Turbos dem Land einen Zusammenbruch des Frankens vorhergesagt. Der Franken ist solider denn je. "Unser Problem ist nicht die prophezeite Schwäche des Franken. Unser Problem ist, daß zu viele Leute auf der Flucht vor dem Euro in den Franken gehen", sagt Blocher.

Speziell in der angestrebten Totalrevision der Bundesverfassung sieht die AUNS Gefahren für die direktdemokratischen Volksrechte, um die Schweiz sturmreif für den Anschluß an die EU zu machen. Blocher stellt dem Bundesrat die Rute ins Fenster. Wer die Unterschriftenzahl erhöhen und das Staatsvertragsreferendum nicht ausweiten will, löste eine Volksinitiative dagegen aus. Die AUNS verlangt das obligatorische Referendum des Volkes und der Stände bei allen Vereinbarungen, die einer Verfassungsänderung bedürfen, und das fakultative Referendum des Volkes für alle internationalen Vereinbarungen, die eine Gesetzesänderung nach sich ziehen.

Das Referendum ist nach wie vor die schärfste Waffe der Schweizer Demokratie. Es macht die Politiker zu Dienern des Volkes und schaltet jeden Mißbrauch aus. In Bern spürt man, daß der Geist des Volkshelden Tell noch in den Eidgenossen lebt.


 
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