© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/97  09. Mai 1997

 
 
Ungarn: Einweihung des "Weltdenkmals für alle gepeinigten Ungarndeutschen" am 16. Mai
"Wien behandelt uns nicht wie Nachbarn"
Ein Gespräch mit Lorenz Kerner
Fragen: Johann F. Balvany

Herr Kerner, viele heimatverbliebene Ungarndeutsche haben sich in den letzten Monaten und Jahren wieder sehr intensiv an die Ereignisse vor einem halben Jahrhundert erinnert, die dieser Volksgruppe so viel Leid gebracht haben. Auch zahlreiche Ungarn denken heute beschämt an jene Kapitel ihrer Geschichte zurück. Dennoch scheint zuletzt die rumänische Regierung mit medienwirksamen Gesten an die Adresse der Rumäniendeutschen der Budapester Führung den Ruf als Vorreiter in der Minderheitenpolitik Ostmitteleuropas streitig zu machen. Oder haben die Ungarndeutschen inzwischen auch neue Erfolge aufzuweisen, die größere Beachtung verdienen?

KERNER: Wir hatten gleich eine ganze Reihe trauriger Jubiläen zu begehen: Zwangsrekrutierung in die Hitler-Armee, die Ende 1944 einsetzende Verschleppung Zehntausender zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion, die mit einem Beschluß der Budapester Regierung vom 22. Dezember 1945 verordnete Vertreibung etlicher Landsleute, Enteignungen usw. Von etwa 400.000 Ungarndeutschen ist bloß etwa die Hälfte in der Heimat verblieben; von den in die UdSSR verschleppten 66.000 Frauen unter 25 Jahren kamen ca. 30.000 als gebrochene Menschen nach Hause zurück, wo sie ihre Höfe und Ländereien verloren hatten. – Nach all den kommunistischen Diskriminierungen auch in den folgenden Jahrzehnten können wir heuer erhobenen Hauptes einer besseren Zukunft für uns und unsere ungarische Heimat entgegensehen. Ein für uns bedeutendes, symbolträchtiges Ereignis ist die am 16. Mai stattfindende Einweihung des "Weltdenkmals für alle gepeinigten Ungarndeutschen " im Hof des Lenau-Hauses in Fünfkirchen (ungar. Pécs). An der Zeremonie werden auch Staatspräsident Arpád Göncz und der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel teilnehmen.

Wie sieht dieses Denkmal genau aus?

KERNER: Es handelt sich um einen zwei Meter hohen blonden Jungen mit Wanderstab und Beutel in der Hand, der den Blick nach vorn gerichtet daherschreitet. – Denn wir Ungarndeutschen sind, wie gesagt, guter Dinge, und wir hoffen, daß die ungarische Regierung ihre als beispielhaft angepriesene Minderheitenpolitik noch besser in die Praxis umsetzt. Auch freuen wir uns sehr darüber, daß immer mehr vertriebene Ungarndeutsche in die alte Heimat zurücksiedeln. Auch das deutet auf Zuversicht und Stabilität im Lande hin.

Inwieweit schlägt sich diese Zuversicht auch im Organisationswesen der Ungarndeutschen nieder?

KERNER: Die "Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen" (LSUD), der ich vorstehe, ist eine öffentlich-rechtliche, frei gewählte Körperschaft. Sie ist aufgrund des Minderheitengesetzes von 1993 tätig und kann sich auf eine relativ große Volksgruppe stützen, die jedenfalls zahlreicher ist als alle anderen Minderheiten in Ungarn zusammen. Wir streben aber nicht nur regionale Zuständigkeiten an, sondern wollen eine eigene, direkte Vertretung im Budapester Parlament. Finanziell steht es um unsere Selbstverwaltung allerdings nicht zum besten: Die LSUD wird vom Staat mit jährlich 65,5 Millionen Forint unterstützt. Das ist gerade ausreichend, um die Organisation funktionsfähig zu halten. Darüber hinaus leistet uns Deutschland maßgebliche materielle und durch Sachwerte verkörperte Hilfe.

Gibt es ungarische Parteien, die ihnen gegenüber besonders gewogen bzw. ausgesprochen kritisch eingestellt sind? Und was hält die Öffentlichkeit von der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen?

KERNER: Die Haltung uns gegenüber ist in Ungarn heute nahezu einvernehmlich positiv. Bei den Parlamentswahlen von 1994 erhielten unsere Kandidaten sage und schreibe 550.000 Stimmen von Wählern der Mehrheitsnation; und seit der Wende von 1990 entscheiden sich immer mehr Ungarn für Deutsch als erste Wahlfremdsprache. Die Liste der Sympathiekundgebungen ist lang.

Wo setzen sie die Hebel für eine kulturelle und wirtschaftliche Renaissance ihrer Volksgruppe an?

KERNER: Wir haben allmählich unsere Häuser und Liegenschaften zurückgekauft bzw. in den meisten Ortschaften neue Gebäude errichtet. In etlichen davon haben wir die Kirchen, Alten- und Behindertenheime sowie die Schulen instandgesetzt. Unsere Volksgruppe hat zuletzt so viele Akademiker hervorgebracht wie nie zuvor. In zwei Fünfkirchener Mittelschulen wird Deutsch zur Unterrichtssprache.

Sie sprachen die großzügigen Hilfen seitens der Bundesrepublik an. Wie verhält es sich denn mit der amtlichen österreichischen Politik in bezug auf die Ungarndeutschen? Hatte die Übergabe des Außenministeriums von Alois Mock anWolfgang Schüssel spürbare Konsequenzen?

KERNER: Am Ballhausplatz scheint man neuerdings zu vergessen, daß es Maria-Theresia war, die uns in dieses Land entsandte, um es aufzubauen. Als Außenminister Schüssel unlängst – endlich – Budapest besuchte, hatte er nicht einmal Zeit für eine Erklärung an unser ungarndeutsches Radio. Wien gebärdet sich uns gegenüber etwa so, als ob wir keine Nachbarn, sondern Marsbewohner wären.


 
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