© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/97  02. Mai 1997

 
 
Kirchendebatte: Wenn Amtskirche und Hoftheologen versagen
Wehrhaftes Christentum
von Gerhard Sailer

Klubobmann Stadlers und dessen abgeschwächtes "wehrhaftes Christentum" hat inner- und außerparteilich viel Staub aufgewirbelt. Mit Recht wurde von nationalliberaler Seite an die sowohl freisinnig-aufklärerische Tradition insbesondere städtischer Freiheitlicher als auch an die protestantische Tradition mancher ländlicher Freiheitlicher – vor allem in manchen Gegenden Oberösterreichs und der Steiermark – erinnert, die allesamt mit dem Krenn’schen Fundamental-Katholizismus nichts am Hut hätten… Dabei wird übersehen, daß aber auch die Wiener Arbeiterschaft etwa mit dem deutschen Volkstums- und Kulturbegriff ebensowenig im Sinn hat bzw. anzufangen weiß und trotzdem in Scharen zu den Wiener Freiheitlichen "übergelaufen" ist! Sowenig sich deutschnationales Selbstverständnis als "Vogelscheuche für Wählerabschreckung" herausgestellt hat, so wenig würde die Betonung der christlich-abendländischen Wurzeln unserer Kultur – die man besitzt, auch wenn man kein Christ ist! – irgendjemanden abschrecken. Ausgenommen militante Grüne und Liberale natürlich, die aber sowieso nicht als freiheitliche Wähler in Frage kommen! Umgekehrt könne die Berufung auf "christliche Werte" bei gleichzeitig heftiger Kritik an der "linken Amtskirche" und deren noch linkeren Vorfeldorganisationen Applaus von verschiedensten Seiten bringen: Vom Restbestand biederer christlicher Traditionslisten in der ÖVP, die sich vom "lauen Christentum" ihrer Partei verraten fühlen, bis zur kirchenfernen "breiten Masse", die sich alle von roten Bischöfen à la Stecher und Weber mit deren weltfremder "Fernstenliebe" und den links-linken "Ausländer-rein"-Apologeten Landau und Küberl von der Caritas abgestoßen fühlen – wenn auch aus unterschiedlichen Motiven heraus!

"Die linke Kirche verrät das Abendland" könnte eine weitere Botschaft an die Wähler sein, die – festgemacht an überreichlich vorhandenen Beispielen – vielfache Zustimmung garantiert. Während ein zunehmend aggressiver Islam im arabischen Raum jegliche christliche Religionsausübung entweder gleich überhaupt untersagt (z. B. in Saudi-Arabien) oder mit blutigem Terror überzieht (z. B. in Ägypten), suggeriert eine total realitätsblinde und degenerierte Kleriker- und Theologenschaft die Möglichkeit eines "Dialoges", für den in Wirklichkeit ein für den Islam repräsentativer Dialogpartner fehlt. Bei einem kürzlichen Islam-Symposion (siehe auch Seite 6) hat denn auch bezeichnenderweise ein Kirchenrechts-Professor (!) den Part des Kämpfers für die "Rechte der Muslime im Westen" übernommen und über deren (selbstverständliches) Recht auf Religionsausübung hinaus auch die Institutionalisierung islamischer Lebensäußerungen im öffentlichen (!) Leben verlangt: Mehr Möglichkeiten für Gebetspausen muslimischer Arbeiter in Betrieben, für Schächtungen in Schlachthöfen, für Kopftuchtragen und Befreiung vom Turnunterricht für Musliminnen etc.. Es sei eben beste christliche Tugend, andere Religionen nicht nur zu tolerieren, sondern sich als Mehrheit notfalls auch deren Wertesystem anzupassen! Vor diesem Hintergrund amtskirchlichen Verrats am Christentum kann man die Forderung nach "wehrhaftem Christentum" in Erweiterung freiheitlicher Programmatik nur begrüßen.


 
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