© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/97  02. Mai 1997

 
 
Studie zur Globalisierung: Deutschland hat seine Vorreiterposition "faktisch aufgegeben"
"Kaum nationale Umweltpläne"
von Roland Heilmann

In den letzten zweieinhalb Jahrzehnten hat die umweltpolitische Handlungsfähigkeit der Industrieländer gleichermaßen stark zugenommen wie die der Entwicklungsländer. Einen wesentlichen Anteil daran hat die Internationalisierung von Umweltpolitik. Während in vielen Bereichen negative Auswirkungen mit diesen weltumspannenden Beziehungen einhergehen, hat die Globalisierung für den nationalen Umweltschutz eher eine stützende Rolle.

Das ist, auf den Punkt gebracht, das Ergebnis der erst kürzlich veröffentlichten Gemeinschaftsstudie "National Environmental Policies: A Comparative Study of Capacity-Building" (Springer Verlag: Berlin, Heidelberg, New York etc. 1997) der Forschungsstelle Umwelt im Fachbereich Politische Wissenschaften der Freien Universität und des Wissenschaftszentrums für Sozialforschung der Universtität der Vereinten Nationen. Die von Martin Jänicke und Helmut Weidner und unter Mitwirkung von Helge Jörgens erarbeitete Untersuchung, die aus 13 nationalen Fallstudien und einem statistischen Überblick über 35 Länder besteht, kommt zu dem Ergebnis, daß seit dem Beginn der modernen Umweltpolitik in den 60er Jahren eine kontinuierliche Expansion dieses Politikfeldes zu beobachten sei. In allen von der Untersuchung erfaßten Ländern bestehen heute eigene Umweltministerien oder nationale Umweltagenturen sowie weitere Umweltabteilungen in anderen Ministerien. Diesen auffälligen Bedeutungszuwachs bei staatlichen Stellen hat vor allem die zunehmende internationale Vernetzung nichtstaatlicher Akteure, speziell international arbeitende Umweltverbände, die Medienberichterstattung, umweltorientierte Unternehmen und nicht zuletzt die Wissenschaft bewirkt.

Die Studie spricht in diesem Zusammenhang von einer Globalisierung der Umweltpolitik und einem Prozeß des Politiklernens. "Dabei ist die schnelle Nachahmung von Erfolgsfällen ebenso von Bedeutung wie die Diffusion von Politikmustern durch das UN-System oder die OECD", schreibt Helge Jörgens. Dies hat zur Folge, daß im Bereich des Umweltschutzes eine Eigendynamik entstanden ist, die nicht nur durch internationale Zusammenschlüsse und international arbeitende Nicht-Regierungs-Organisationen getragen wird, sondern besonders auch durch das Auftauchen immer neuer Vorreiterländer. Während beispielsweise Großbritannien in den 60er Jahren bei der Smogbekämpfung Vorbildfunktion für andere Länder hatte, waren dies in den 70er Jahren die USA, Schweden und Japan. In den 80er Jahren konnte nach Ansicht der Wissenschaftler Deutschland diese internationale Vorreiterposition besonders im Bereich Umwelttechnik in Anspruch nehmen. Spätestens "nach den Bundestagswahlen 1994", so Jörgens, habe Deutschland diesen Anspruch "faktisch aufgegeben". Innovative Impulse für die internationale Umweltpolitik gehen seit Ende der 80er Jahre nach ihrer Einschätzung vor allem von den Niederlanden und Dänemark aus. Für die Zukunft rechnen die Verfasser auch mit einer Vorreiterrolle sogenannter Schwellenländer, so beispielsweise Südkorea.

Neben dieser positiven Entwicklung weist die Studie jedoch auch auf die engen Grenzen der entstandenen Handlungsfähigkeit hin. "Selbst in den entwickelten Industrieländern reichen sie nur aus für technische Standardlösungen des Umweltschutzes wie Filtertechnik, Abfallbeseitigung, Gefahrstoffsubstitution", so Mitverfasser Jörgens. "Sie sind jedoch unzureichend gegenüber schleichenden Umweltverschlechterungen". Die Verfasser bemängeln insbesondere das Fehlen zukunftsorientierter Konzepte hinsichtlich Bodenschutz, Flächenverbrauch, Klimaschutz und Abfallvermeidung. Die international angestrebten langfristigen Umweltziele, sind auf nationaler Ebene bisher kaum umgesetzt worden, so ein weiteres Fazit. Als in dieser Hinsicht zukunftsorientiert nennt die Studie den "Nationalen Umweltpolitikplan" der Niederländer sowie administrative Neustrukturierungen, wie sie Dänemark beispielsweise durch die Eingliederung des Energieministeriums in das Umweltministerium erfolgt sind.

Während häufig von einer Unterforderung bestehender Handlungsmöglichkeiten durch schwache Minister ebenso wie durch konfliktscheue Umweltverbände gesprochen werden kann, sind Einschränkungen bestehender rechtlicher und institutioneller Handlungsmöglichkeiten der Umweltpolitik eher die Seltenheit.

Und noch ein Ergebnis der 35-Länder-Studie ist bemerkenswert: Marktregulierende Instrumente wie Umweltsteuern und -abgaben werden zwar zunehmend wichtiger, spielen aber noch immer eine untergeordnete Rolle. "Paradoxerweise", so Helge Jörgens, "sind sie weniger in liberalen Volkswirtschaften wie der amerikanischen oder britischen als in Ländern verbreitet, in denen der Staat eine stärker interventionistische Rolle spielt: die skandinavischen Länder, Süd-Korea und Rußland".


 
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