© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/97  02. Mai 1997

 
 
Peru: Alberto Fujimori, Vladimiro Montesinos und das abrupte Ende einer Geiselaffäre
Befreiungsschlag gegen den Terror
von Annegret Reelitz und Martin Schmidt

Mein Vater war ein Einwanderer, ein Bauer. Wir lebten in drückender Armut. Später zog meine Familie in die Stadt, in eine winzige Wohnung zur Straße. Mein Vater betrieb jetzt verschiedene Geschäfte, – ich weiß wohl, wie es ist, in schwierigen Verhältnissen zu leben." Als Alberto Fujimori, von dem diese Worte stammen, 1990 gewählter Präsident seines Landes wurde, stöhnten die Peruaner unter der Last einer 7.650prozentigen Inflation und unter dem Terror des "Sendero Luminoso" (Leuchtender Pfad) sowie der MRTA (Movimento Revolucionario Túpac Amaru). Fujimori versprach Besserung.

Und wirklich: Seine Regierungszeit ließ sich gut an. Nachdem insgesamt 30.000 Tote und 25 Milliarden Dollar an Sachschäden infolge der Gewalt der Untergrundbewegungen zu beklagen waren, konnten 1992 mit Abimael Guzmán und Victor Polay Campos die Köpfe der beiden linksextremen Terrororgruppen verhaftet werden. Die Wirtschaft registrierte 1994 mit fast 14 Prozent die höchste Wachstumsrate weltweit, die chronische Kapitalflucht war eingedämmt. Nachdem die Weltbank grünes Licht signalisiert hatte, konnte Peru im vergangenen Jahr 3,4 Milliarden Dollar an ausländischen Investitionen einheimsen und stand damit an dritter Stelle nach Brasilien mit 8 Milliarden und Mexiko mit 7 Milliarden Dollar. Lima verwandelte sich in eine Hauptstadt mit Flair. In Miraflores öffneten Straßencafés, und Jazz-Kapellen versetzten die abendlichen Flaneure in Swingstimmung.

Fujimori hatte viele gute Ideen: So ließ er Soldaten in den durch die Landflucht ständig wachsenden ärmeren Stadtteilen Limas Instandsetzungsarbeiten durchführen und zum Beispiel Stromleitungen verlegen. Die gleichen Soldaten, die früher zum Prügeln anrückten, schufteten nun vor aller Augen zum Wohle der Gemeinden. Das baute Ängste ab und schuf Sympathien. Der Präsident, 58 Jahre alt, Agrar-Ingenieur, dem es bis heute – auch wegen seiner asiatischen Herkunft – nie ganz gelungen ist, die peruanische Oberklasse auf seine Seite zu ziehen, setzte voll auf die Karte einer Liberalisierung der einst strikt dirigistischen Wirtschaft sowie auf seine Sozialprogramme.

Natürlich erinnerte er sich auch daran, daß sein überraschender Wahlsieg von 1990 gegen den Schriftsteller Vargas Llosa nur dank der Unterstützung der armen Massen in den "pueblos jóvenes" möglich war, den zahllosen neuen Vierteln am Stadtrand der 8-Millionen-Metropole Lima. Nicht zuletzt hoffte Fujimori, der maoistischen Gewalt des Leuchtenden Pfades endgültig den sozialen Nährboden zu entziehen.

Der Präsident und seine Partei "Cambio 90 / Nueva Mayoría" (Wechsel 90/Neue Mehrheit) konnten eine erfreuliche Zwischenbilanz ziehen: Die Hyperinflation war besiegt (inzwischen liegt die Inflationsrate bei etwa 15 Prozent), und die Sicherheitskräfte hatten weite Teile des von Terroristen kontrollierten Landes zurückerobert.

Doch dann, am 17. Dezember 1996, schien der Traum von einer besseren Zukunft Perus wie eine Seifenblase zu zerplatzen. In einer spektakulären Aktion besetzten 14 zum Teil noch jugendliche Kämpfer der "Revolutionären Bewegung Túpac Amaru" die Residenz des japanischen Botschafters in San Isidro, einem noblen Vorort Limas, und brachten über 70 Geiseln in ihre Gewalt. Der Überfall bekam noch zusätzliche Brisanz durch die illustre Zusammensetzung der Gefangenen, die zu einem Cocktail-Empfang des Gesandten zu Ehren Kaiser Akihitos gekommen waren. In der Hand der MRTA-Rebellen befanden sich u. a. der peruanische Außenminister Tudela, Agrarminister Munante sowie der bolivianische Botschafter Gumucio.

Der Vorfall verschaffte den angesichts der Erfolge der letzten Jahren weitgehend verstummten Kritikern Fujimoris, insbesondere denen im Ausland, neuen Auftrieb. Westliche Stimmen störten sich daran, daß Fujimori vor fünf Jahren das Zwei-Kammer-Parlament aufgelöst hatte und die Verfassung außer Kraft setzen ließ, um für die dringend gebotenen Reformen seiner Regierung mehr Handlungsfreiheit zu gewinnen. Diese von der großen Masse der peruanischen Bevölkerung gutgeheißene Entscheidung vertrug sich nicht mit den schablonenhaften Demokratievorstellungen mancher selbsternannter Vordenker der "westlichen Wertegemeinschaft". So konnte man u. a. in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine Peru-Berichterstattung registrieren, die sich für die besonderen Umstände einer von Massenarmut, Drogenkriminalität und Terror gebeutelten Weltregion wenig sensibel zeigte. Michael Lennertz schrieb am 21. April: "Der Sohn japanischer Einwanderer gilt als tüchtig und ehrlich, aber Fujimori regiert eigenwillig – und praktisch allein. Das ist seine Schwäche. Die politische und wirtschaftliche Macht liegt im Andenstaat in nur wenigen Händen, von einem demokratischen Regierungsstil ist derzeit wenig zu spüren." In Lima begann ein 126 Tage währender Verhandlungskrimi, der dank einer ständigen 200-köpfigen Journalistenschar in aller Welt rege Anteilnahme fand und der neben Präsident Fujimori auch Victor Polay Campos, Vladimiro Montesinos und MRTA-Kommandoführer Nestor Cerpa zu bekannten Politgrößen werden ließ.

Der inzwischen 45jährige Arzt Victor Polay Campos war Mitglied der APRA, der Sozialdemokratischen Partei Peru, zu deren Gründern einst sein Vater gezählt hatte. 1984 verließ er die Partei und rief – inspiriert von "Ché" Guevara – die Untergrundbewegung MRTA ins Leben. Etwa 20 Attentate mit Dynamit, mehr als hundert Entführungen und so um die zehn Morde trugen ihm 1992 eine lebenslängliche Zuchthausstrafe ein. Vorher hatten die Ordnungshüter Campos schon einmal kurz ergriffen. Doch 1990 grub er einen Tunnel von mehr als 300 Metern und konnte zusammen mit 46 Mitkämpfern aus dem Gefängnis entfliehen. Als man ihn dann erneut festnahm, saß er gerade in einem jener neuen hübschen Straßencafés von Miraflores. Das MRTA-Kommando in der japanischen Botschaft forderte im Dezember als erstes die Freilassung ihres Chefs Campos. Außerdem wollte man weitere 400 (zuletzt waren es noch 20) Gesinnungsgenossen aus den peruanischen Gefängnissen freipressen. – Ironie der Geschiche, daß nun erneut Tunnelgrabungen eine entscheidende Rolle gespielt haben. Jedoch sorgte der schon kurz nach der Geiselnahme begonnene Bau von insgesamt 100 Metern unterirdischer Gänge diesmal nicht dafür, daß Terroristenboss Campos wieder in Freiheit kam, sondern er verhalf Präsident Fujimori zu einem der größten Erfolge seiner Karriere. Ein 140 Mann starkes Spezialkommando von Heeres- und Marinesoldaten konnte dank des Tunnelsystems am Dienstag vergangener Woche in einem nur 15minütigen Handstreich die Geiselaffäre beenden. Ein gefangenes Mitglied des Obersten Gerichtshofes Perus, zwei Offiziere und alle 14 MRTA-Kämpfer in der Botschaft kamen bei dem von den Fernsehanstalten des Landes live übertragenen Einsatz ums Leben. Man kann davon ausgehen, daß Alberto Fujimori allen zwischenzeitlichen Verhandlungen zum Trotz – beispielsweise über die Abschiebung der Terroristen ins Asyl nach Kuba – von Anfang an auf eine solche Lösung der Affäre gesetzt hatte. Er konnte und wollte sich nicht auf eine derartige politische Erpressung einlassen, die von einem Tag auf den anderen seine außerordentlichen Erfolge gegen die Untergrundbewegungen in Frage gestellt hätte.

Politisch gestärkt darf sich neben Präsident Fujimori nun vor allem Vladimiro Montesinos fühlen – die Graue Eminenz der peruanischen Regierung. Der Geheimdienst-"Berater" gilt als überaus wichtiges Bindeglied zwischen Partei und Militär. Und er gilt als der Stratege der Terrorbekämpfung, dessen Geschick dem Leuchtenden Pfad das Rückgrat brach. Nachdem der 17. Dezember kräftig an seinem Image gekratzt hatte, kann Montesinos die logistisch perfekte Befreiungsaktion vor allem auf sein Konto buchen.

1977 hatte ein Militärgericht ihn zu einem Jahr Gefängnis wegen Fahnenflucht verurteilt. Wieder entlassen, arbeitete er als Rechtsanwalt. 1990 bat Fujimori, damals noch Präsidentschaftskandidat, ihn um Hilfe bei einer schwierigen Familienangelegenheit. Montesinos blieb in dem nachfolgenden Prozeß im Sinne Fujimoris auf ganzer Linie siegreich; seitdem sind beide unzertrennlich.

Schon zu Lebzeiten ist Vladimiro Montesinos eine Legende, eine höchst umstrittene freilich. Caretas, das meistgelesene Nachrichtenmagazin Perus nannte ihn den "Rasputin am Hofe Fujimoris", wurde daraufhin verklagt und mußte 10.000 Dollar Strafe zahlen. Außerdem gibt es da noch einen Drogendealer, der im August letzten Jahres mit später widerrufenen Vorwürfen für Schlagzeilen sorgte, daß die Graue Eminenz Bestechungsgelder in Höhe von mehreren zehntausend Dollar akzeptiert hätte. Der US-amerikanische General Barry McCaffrey – sein Spitzname: Anti-Drogen-Zar – erklärte dazu bei einem Besuch in Peru: "Meine persönliche Meinung ist die, daß Fujimori keine Bestechungen von der Drogenseite innerhalb seiner hohen Funktionäre duldet."

Es ist trotz aller kritischen Anmerkungen, die man in bezug auf die heutige peruanische Staatsführung durchaus machen kann, bezeichnend, welches Gewicht nach der Geiselbefreiung in manchen großen Zeitungen (so in dem auflagenstarken argentinischen Blatt Clarin, in der japanischen Tageszeitung Asahi Shimbun sowie in Deutschland u. a. in der Süddeutschen Zeitung) Spekulationen beigemessen wurde, einige der Terroristen seien bei der Aktion nicht im Kampf umgekommen, sondern sozusagen standrechtlich erschossen worden. Der argentinische Friedensnobelpreisträger Adolfo Perez Esquivel sprach gar von einem "Massaker". Angesichts der Grausamkeit, mit der der Kampf gegen die marxistische Guerilla von beiden Seiten aus stets geführt worden ist, läßt sich ein gnadenloses Vorgehen der Soldaten sicherlich nicht ganz ausschließen. Doch sollte nicht zuallererst die Freude darüber im Mittelpunkt der Berichterstattung stehen, daß nun ein Land im ohnehin krisengeschüttelten Südamerika eine neue Chance bekommt, den eingeschlagenen Weg zu besseren Lebensumständen fortzusetzen? Letzteres ist offensichtlich auch die Meinung des japanischen Außenministers Ikeda, der bei seinem Peru-Besuch am Mittwoch letzter Woche eine weitere Vertiefung der bilateralen Beziehung in Aussicht stellte. Und vor allem ist es die Ansicht der peruanischen Bevölkerung, die laut einer Blitzumfrage die Erstürmung des Botschaftsgebäudes zu 84 Prozent gutheißt und mit deutlicher Mehrheit hinter Fujimori steht.


 
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